Schwemmholz
habe vorhin meinen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand zur Post gebracht.«
Zwischen Tamars Augenbrauen bildete sich eine Zornesfalte. »Im Neuen Bau wird es heißen, dass Sie kneifen.«
Berndorf zuckte mit den Achseln. »Mag sein. Sagen Sie mir lieber, was mit dem verschwundenen Gerichtsschreiber ist.«
Tamar blickte ihn verwundert an. »Er ist bisher noch nicht aufgetaucht. Es sieht so aus, als ob er mit dem Wagen weggefahren sei. Dieser Richter Hagenberg und auch seine Kolleginnen haben mir zwar versichert, dass Sander genau das niemals tun würde – ich meine, einfach so wegfahren, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Aber es sieht fast so aus.«
Berndorf wandte sich zur Seite. »Begleiten Sie mich ein Stück?« Er humpelte zu dem verlassenen Bahnhofsgebäude. Tamar ging neben ihm her.
»Es gibt ein oder zwei Dinge«, sagte Berndorf nach einer Weile, »die ich noch klären will. Eines davon betrifft diesen Hartmut Sander. Ich habe ihn einmal zufällig getroffen, und seither habe ich das dumme Gefühl, dass er mir damals etwas sagen wollte. Vermutlich hätte ich ihn ermutigen sollen, oder ich hätte freundlicher sein müssen. Das war kurz, nachdem Veihle und Rodek freigesprochen wurden.«
»Sie finden sich also doch nicht damit ab«, stellte Tamar fest. »Sind Sie nun im Geschäft oder sind Sie draußen?«
»Ich bin draußen«, antwortete Berndorf. »Aber Sie könnten mich trotzdem auf dem Laufenden halten. Den Skin mit dem Ölkanister habt ihr nicht gefunden?«
»Ich bin eine Kuh«, sagte Tamar. »Ich hätte es Ihnen gleich sagen müssen. Wir haben ihn tatsächlich gefunden. Und wie Sie es geahnt haben, war er mitten im harten Kern der SSV-Fans. Achenbach heißt er. Der Staatsschutz kennt ihn aus der Neonazi-Szene.« Sie waren stehen geblieben. Berndorf betrachtete die Wasserpfützen im Kies. »Außerdem ist Achenbach Thai-Boxer«, fuhr Tamar fort. »Die Wand in seinem Zimmer ist voller Fotos davon. Und Rodek war Trainer in einem Kampfsportstudio, das haben Sie mir selbst gesagt. Die beiden müssen sich kennen. Und heute Nacht hatten wir Achenbach fast so weit, dass er ausgepackt hätte.«
»Und warum hat er nicht?«
»Als er den Mund aufmachen wollte, hat das Telefon geklingelt. Es war der Anruf wegen der Explosion hier.« Tamar zuckte mit den Schultern. »Was soll man machen? Inzwischen hat er die Jalousien wieder heruntergelassen und sagt gar nichts mehr. Desarts hat einen Haftbefehl abgelehnt. Ich hab Achenbach dann noch gesagt, er soll aufpassen, dass es ihm nicht auch so geht wie dem Axel Veihle.«
»Und?«
»Besonders glücklich hat er nicht ausgesehen. Egal. Ich werde mir jetzt dieses Kampfsportstudio ansehen, in dem Rodek gearbeitet hat. Vielleicht finde ich da eine Verbindung.«
Berndorf nickte. »Tun Sie das. Aber eine Bitte habe ich noch. Könnten Sie mir Zutritt zur Wohnung des Gerichtsschreibers verschaffen?«
Hartmut Sander besaß ein Appartement in einer Wohnanlage in Lettenbühl, einem auf der anderen Seite der Donau gelegenen Stadtteil, dem man längst nicht mehr ansah, dass er einmal ein Bauerndorf gewesen war. Der Fußweg von der Bushaltestelle führte zwischen älteren Häusern und danach zwischen Gärten hindurch. Die Gärten waren mit hohen Koniferen gegen den Fußweg abgeschirmt. Berndorf hatte die Gehzeit von der Endhaltestelle zu Sanders Wohnung auf zehn Minuten geschätzt, brauchte aber eine gute Viertelstunde. Die Einladung Tamars, mit ihr zu fahren, hatte er abgelehnt. »Ich kann’s noch nicht. Die Sperre ist noch immer da.«
Die Wohnanlage war ein gelb verputzter Bau mit Balkons und einem Vorgarten, in dem Kiefern und Rosensträucher gepflanzt waren. Eine Rampe führte zu einer Tiefgarage hinab. Vor dem Eingang wartete Tamar. »Die Leute kennen sich hier nicht«, sagte sie. »Es ist nur aufgefallen, dass der Platz in der Tiefgarage, wo sonst Sanders Renault stand, seit einiger Zeit leer ist. Unter der Woche stand der Wagen meist dort. Sander fuhr mit dem Bus zum Hauptbahnhof und dann mit der Straßenbahn zum Justizgebäude.« Sie gingen in die Eingangshalle,
deren Marmorfliesen weder von Kinderwagen noch von Fahrrädern verschmutzt wurden. Im ersten Stock führte ein Korridor zu mehreren Appartements. Tamar, die sich von der Hausverwaltung einen Schlüssel hatte geben lassen, schloss die Tür zu einem davon auf.
In der Garderobe hing der Trenchcoat, den Berndorf schon einmal gesehen hatte. Er hängte seinen Mantel daneben und folgte Tamar in ein nicht
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