Schwemmholz
Roman geschenkt.
Kuttler ging zu dem Schrankfach, das er und Tamar als Garderobe benutzten, und holte aus der Tasche seines Mantels ein zusammengerolltes Rätselmagazin. Dann schob er seinen Schreibtischstuhl vor die Tür, setzte sich und schlug das Magazin auf. Durch das Fenster hörte man den Regen.
In dem kleinen Büro breitete sich Stille aus. Ab und an raschelte leise das Rätselmagazin. Kuttler hatte wieder ein Wort gefunden.
Der Flug war unruhig, die Biscaya-Tiefs schienen sich in diesem Jahr die Gießkanne in die Hand zu geben. Berndorf saß auf einem Fensterplatz, hatte aber trotzdem bisher keinen Anflug klaustrophobischer Panik verspürt. Das heißt, er hatte sich gezwungen, erst gar nicht daran zu denken, dass er einen solchen bekommen könnte.
Ohne es zu wissen, war ihm dabei eine Gruppe von Männern in nadelgestreiften Anzügen behilflich, die um ihn herum ihre Plätze hatten. Es waren Manager und ihre Assistenten,
vermutlich aus der PR-Abteilung eines der Großkonzerne, die jetzt ihre Zentrale nach Berlin verlegt hatten. Fast gegen seinen Willen hatte Berndorf dem Smalltalk zuzuhören begonnen, mit dem die Nadelgestreiften ihre Rangordnungs-Rituale zelebrierten. Hauptthema war ein ehemaliger Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, der als Firmenrepräsentant nach Singapur gewechselt und vor einigen Wochen mit 3,8 Millionen Mark Schmiergeld im Aktenkoffer untergetaucht war.
»Damit wird er nicht weit kommen«, meinte der Mann, der neben Berndorf saß. »Politiker wissen eben nicht, was richtig Geld ist. Deswegen hat es auch keinen Zweck, sie zu kaufen. Es genügt, sie zu mieten.«
Die Stewardess kam und bot Drinks an. Der Mann neben Berndorf – Kenzo-Anzug mit Weste, Gel im Haar, mittlerer Bluthochdruck – nahm einen Whisky, er selbst ein Mineralwasser.
Der Kommissar knipste die Leselampe an und schlug seinen Lichtenberg-Band auf.
Ich habe einen Müllerknecht gekannt, der niemals die Mütze vor mir abnahm, wenn er nicht einen Esel neben sich gehen hatte. Ich konnte mir das lange nicht erklären. Endlich fand ich, dass er sich diese Gesellschaft für eine Demütigung ansah und um Barmherzigkeit bat; er schien damit der geringsten Vergleichung zwischen ihm und seinem Gefährten ausweichen zu wollen.
Berndorf warf einen entschuldigenden Blick auf seinen Nebenmann, der sich schnaufend die Weste aufknöpfte. Tut mir Leid. Du kannst ja nichts für deine langen Ohren.
Die Dame vorne auf dem Podium trug ein Kostüm mit Faltenrock, außerdem hatte sie einen Stockschnupfen. Das hinderte sie nicht, ein Gedicht vorzutragen:
Fetter grüne, du Laub,
Am Rebengeländer
Hier mein Fenster herauf! Gedrängter quellet,
Zwillingsbeeren, und reifet
Schneller und glänzend voller!
Neben Hannah neigte sich Erwin Skrowonek langsam nach vorne, das Kinn war ihm schon auf die Brust gesunken, gleich würde er zu schnarchen beginnen, doch dann fuhr sein Kopf ruckartig wieder nach oben. Tantchen Maria musste ihm den Ellbogen in die Seite gerammt haben.
Lange halte ich das nicht mehr aus, dachte Hannah. »Mit Goethe durch das Jahr« – warum um alles in der Welt tat sie der alten Maria Skrowonek und ihrem Döskopp etwas an, womit frau sie selbst nur hätte jagen können? Sie kannte die Skrowoneks nicht einmal richtig, sie waren Nebenfiguren vom äußersten Rand ihrer Kindheit, und nur, weil ihr von dieser Kindheit nichts als ein paar Scherben geblieben waren, hing sie an ihnen und suchte zu kitten, was nun wirklich besser sich selbst überlassen bleiben sollte.
Die Dame mit dem Stockschnupfen verließ das Podium, und Pfarrer Rübsam übernahm wieder das Wort. Er komme nun zum Schluss, sagte er, tat das dann aber doch nicht, sondern erzählte von Faust und von Philemon und Baucis, und wie Faust an den beiden Alten schuldig wurde, nur um ein vermeintlich großes Menschenwerk zu vollbringen.
»Am Ende wird Faust verziehen«, fuhr Rübsam fort »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen, lässt Goethe die Engel singen, wobei ich eher glaube, dass uns hier die Großmut Gottes gezeigt wird, der die Menschen eben nicht nach ihren Plänen und ihrem Streben beurteilt.«
Dann kam er aber doch noch zum Schluss und dankte allen Mitwirkenden, denn auch diese hätten immer strebend sich bemüht, weshalb nun alle von Goethe erlöst seien. Auch gebe es jetzt Brezeln und den feinen Malventee.
Oh Gott, Herr Pfarrer, dachte Hannah.
Der Mann, der Staff genannt wurde, goss das Zahnputzglas
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