Schwer verliebt: Roman (German Edition)
dürfen, wenn die Familie der Ermordeten informiert worden ist.
Allerdings hätte ich es ihnen wahrscheinlich ohne Zögern erzählt, wenn nicht gerade Lindsay das Opfer gewesen wäre. Lindsay mochten alle, sogar die Angestellten, deren Toleranz für die Studenten normalerweise niedrig ist.
Und ich werde ihnen ganz bestimmt nicht erzählen, was mit ihr passiert ist.
Das ist auch ein Grund, warum ich so froh bin wegzukommen.
Julio wirft seinem Neffen einen verärgerten Blick zu und murmelt etwas auf Spanisch, vermutlich weiß er ebenso gut wie ich, dass ich den Namen nicht preisgeben darf. Manuel wird knallrot, schweigt aber. Wie Tom ist auch er noch in der Probezeit, und Julio ist ein strenger Vorgesetzter. Ich möchte ihn nicht als Chef haben. Ich habe miterlebt, wie er sich aufführt, wenn er die Studenten beim Rollerbladen über seinen frisch gewachsten Fußboden erwischt.
»Ich muss wegen eines anderen Studenten ins Krankenhaus«, sage ich zu Julio. »Hoffentlich bin ich bald zurück. Pass ein bisschen auf Tom auf, ja? Er ist an diese Sachen nicht gewöhnt.«
Julio nickt ernst, und ich weiß, dass er meinen Auftrag buchstabengetreu ausführen wird, auch wenn er dazu so tun muss, als habe er vor dem Zimmer des Direktors eine Flasche Limonade verschüttet, damit er eine halbe Stunde lang den Boden aufwischen kann.
An den Leuten in der Lobby komme ich unbehelligt vorbei, und dann stehe ich draußen in der Kälte. Zwar hält wie durch ein Wunder gerade ein Taxi vor Fisher Hall, aber ich winke nicht danach. Stattdessen laufe ich um die Ecke zu dem Brownstone, das ich gerade vor zwei Stunden
verlassen habe. Wenn ich den ganzen Tag im Krankenhaus sitzen muss, brauche ich ein paar Sachen, mein Mathematik-Lehrbuch zum Beispiel, damit ich mich auf die erste Stunde vorbereiten kann, und vielleicht meinen Game Boy. Na ja, Ihnen kann ich ja sicher nichts vormachen, natürlich werde ich den Vormittag eher mit Tetrisspielen verbringen als damit, Mathe zu lernen. Vielleicht kann ich ja auch noch Lucy dazu überreden, rasch nach draußen zu kommen und ihr Geschäft zu machen, damit ich mich später nicht auf unangenehme Überraschungen gefasst machen muss.
Die Wolken am Himmel sind immer noch dunkel und schwer, aber daran liegt es nicht, dass Reggie und seine Freunde nirgendwo zu sehen sind. Sie sind bestimmt abgehauen, weil es in Fisher Hall von Polizisten wimmelt, und machen jetzt Kaffeepause im Washington Square Diner. Mord ist auch für Drogendealer eine schlimme Sache.
Lucy ist so verwirrt, mich um diese Uhrzeit zu sehen, dass sie ganz vergisst zu protestieren, als ich sie in den kalten Garten von Coopers Großvater schicke. Als ich mein Lehrbuch und den Game Boy geholt habe und wieder nach unten komme, sitzt sie an der Hintertür, und ein paar Meter entfernt dampft ihr Häufchen vor sich hin. Ich lasse sie hinein, entsorge rasch ihr Geschäft und will gerade gehen, als ich das blinkende Nachrichtenlämpchen am Telefon in der Diele bemerke. Das ist unser Hausanschluss und nicht Coopers Geschäftsapparat. Ich drücke auf »Play«, und die Stimme von Coopers Bruder ertönt.
»Äh, hi«, sagt mein Exverlobter. »Das ist eine Nachricht für Heather. Heather, ich habe schon versucht, dich auf deinem Handy und unter deiner Büronummer zu erreichen, habe dich aber wohl immer verpasst. Könntest du
mich bitte sofort zurückrufen, wenn du diese Nachricht hörst? Ich muss etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen.«
Wow. Das muss ja wirklich wichtig sein, wenn er mich in Coopers Haus anruft. Coopers Familie hat seit Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen, seitdem sie erfahren haben, dass der Familienpatriarch Arthur Cartwright, der Gründer von Cartwright Records, seinem schwarzen Schaf von Enkelsohn sein Brownstone im West Village hinterlassen hat, ein Sahneschnittchen an Grundbesitz im Wert von acht Millionen Dollar. Allerdings war das Verhältnis auch vorher schon nicht ganz ungetrübt, da Cooper sich geweigert hatte, im Familienunternehmen mitzuarbeiten. Genauer gesagt hat er sich geweigert, den Bass bei Easy Street zu singen, der Boy Band, die sein Vater auf die Beine gestellt hatte.
Wenn ich und meine beste Freundin Patty und ihr Mann Frank nicht gewesen wären, dann hätte Cooper Weihnachten und Silvester ganz allein verbringen müssen, was ihm allerdings nicht besonders viel ausgemacht hätte, statt sich am warmen Glanz des Familienlebens zu erfreuen – na ja, von Pattys Familie jedenfalls. Meine eigene Familie sitzt
Weitere Kostenlose Bücher