Schwere Wetter
der Mensch selbst über sich wusste.
»Hier die Balance
zu wahren, das sehen wir als eine unserer Aufgaben an. Leider glückt es nicht
immer. Denken Sie an die Volkszählung. Darin mag man noch einen Sinn sehen.
Aber darf die Gebühreneinzugszentrale auf der Jagd nach Leuten, die die
Gebühren für Radio und Fernsehen vorenthalten, hemmungslos in allen Registern
nachforschen? Ist es rechtens, wenn die Hauseigentümer verpflichtet werden, der
Gebühreneinzugszentrale zwangsweise Informationen über ihre Mieter zu liefern?
Sie sehen, es gibt viele Dinge, mit denen wir uns beschäftigen.«
»Dieser Punkt ist
lebhaft in der Öffentlichkeit diskutiert worden«, warf Lüder ein.
»Und nicht jedem
gefällt, was wir dazu meinen. Doch es ist nicht nur der öffentliche Sektor, auf
den wir achten. Von uns, hier aus Schleswig-Holstein, ist die Initiative
ausgegangen, zu untersuchen, welche Folgen es hat, dass durch das Auswerten des
›Gefällt mir‹-Buttons bei Facebook Konsumverhalten und Gesinnung der Leute
ausgewertet werden können. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass
Viagra-Werbung konzentriert auf männliche erwachsene Internetnutzer
ausgerichtet wird? Die Spams immer zielgerichtet erfolgen? Unternehmen wie
Google durch Ihre Klicks reich geworden sind? Und die Anwender draußen vor den
Computerschirmen machen bereitwillig mit.«
»Ist das wirklich
so dramatisch?«, fragte Lüder.
»Im Laufe eines
Tages werden lauter elektronische Fußabdrücke hinterlassen: E-Mails, Blogs,
Twitter, Konteninformationen, Telefonate, Chatten, Simsen, Konsum, indem Sie
mit Karte oder Kundenkarte bezahlen, regionale Verfolgung. Man weiß, wo Sie im
Laufe eines Tages waren. Kameras in Banken und auf öffentlichen Plätzen
verfolgen Sie, die im Internet gekaufte Fahrkarte erzeugt ebenfalls
Bewegungsbilder wie Geldautomaten oder Tankquittungen. Nichts bleibt mehr
verborgen. Darüber denkt kaum jemand nach. Die Leute machen auch noch
bereitwillig mit, weil das Ganze so schön bequem ist. Niemand wundert sich,
dass er Konsumvorschläge erhält. Wer einmal etwas bei Amazon bestellt hat,
bekommt zielgerichtete Informationen, die genau sein Interessengebiet umfassen.
Der Computer kennt Ihren Lieblingswein, Ihr bevorzugtes Urlaubsziel, wertet
gnadenlos Reaktion und Nichtreaktion aus. Es entstehen immer mehr ausgeklügelte
Suchalgorithmen.«
»Manche Kunden
empfinden das als hilfreichen Service.«
»Und wehe, wenn
alles eines Tages zum gläsernen Menschen zusammengefügt wird. Das zu verhindern
sehen wir als unsere besondere Aufgabe an. Das passt natürlich nicht jedem,
wenn wir ihnen ins Handwerk pfuschen.«
»Wenn ich Ihnen
zuhöre, könnte man fast meinen, George Orwell war ein Stümper.«
Ein Lächeln
huschte über ihr Gesicht.
»Orwell war ein
großer Visionär. Daran gibt es keine Zweifel. Aber ich glaube, die kühnsten
Träumer hätten sich 1948 nicht vorstellen können, was heute möglich ist. Denken
Sie an Dinge, die außerhalb unseres eigentlichen Aufgabenbereichs liegen, aber
die Menschheit berühren: Genmanipulation, Selektion von Föten, Retortenbabys
nach Wunschdesign. Man darf gar nicht darüber nachdenken, welche Möglichkeiten
sich dort eröffnen könnten. Könnten!«, betonte Frau von Rittershagen. »Aber all
diese Probleme können wir hier nicht lösen, sondern nur hoffen, dass dieser
Teil unserer Zukunft in den Händen verantwortungsbewusster Menschen liegt.«
»Gibt es davon
genug, ich meine, wenn ich den Gedanken jetzt wieder auf unser engeres Thema,
den sensiblen Umgang mit Daten, richte?«
»Daran arbeiten
wir«, wich die Frau aus. »Aber es gibt auch Interessengruppen, die das Problem
verstanden haben und sich gesellschaftlich engagieren. ›Personality protecting‹
ist eine solche Gruppe.«
»Wofür engagieren
die sich?«
»Im Prinzip gegen
den Missbrauch der Daten, der den Bürger zum gläsernen Menschen macht, und für
die informelle Selbstbestimmung.«
»Dann verfolgt
diese Gruppe das gleiche Ziel wie Sie.«
Frau von
Rittershagen wiegte den Kopf. »Es gibt Unterschiede. Wir, als unabhängiges
Landeszentrum, orientieren uns an den bestehenden Gesetzen. Und wenn es aus
unserer Sicht Unklarheiten oder Nachbesserungsbedarf gibt, beschreiten wir den
politischen Weg und tun unsere Ansicht auf offiziellen Wegen kund.«
Lüder schmunzelte.
Mit dem, was die Frau nicht gesagt hatte, hatte sie deutlich ihre persönliche
Meinung zur Arbeit von »personality protecting« erklärt.
»Sind die
Mitglieder dieser
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