Schwere Wetter
Die ebenfalls in Richtung Rendsburg fahrenden Fahrzeuge, es
handelt sich um einen Pkw und einen Sprinter, waren zu weit entfernt, um
Einzelheiten erkennen zu können. Durch den Unfall waren sie auch daran
gehindert, den Verursacher zu verfolgen. Die Fahrer haben sich um das
Unfallopfer gekümmert und Hilfe herbeigerufen. Die Gegend ist dünn besiedelt,
es liegt kein Ort oder Haus in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle. So gibt es
keine Zufallszeugen. Wir haben lediglich drei Autofahrer ausmachen können, die
auf der Gegenfahrbahn unterwegs waren. Doch deren Aussagen sind auch sehr
dürftig. Das ist verständlich. Man konzentriert sich auf das Verkehrsgeschehen
vor seinem eigenen Wagen und nimmt Ereignisse auf der Gegenfahrbahn nur bedingt
wahr. Niemand konnte etwas zum Geschehen sagen. Auch das zweite beteiligte
Fahrzeug konnte niemand beschreiben. ›Dunkel‹ war die Aussage, ein Zeuge wollte
auch getönte Scheiben erkannt haben.«
»Der zweite Wagen
muss doch ebenfalls erheblich beschädigt worden sein«, sagte Lüder.
»Richtig. Selbst
wenn er an der nächsten Abfahrt in Bredenbek die Autobahn verlassen hat, müsste
er aufgefallen sein. Da wir ihn nicht gefunden haben, gehen wir davon aus, dass
er zwar erheblich beschädigt, aber noch fahrtüchtig war. Trotzdem musste er
auffallen. Wir haben Ermittlungen in den umliegenden Ortschaften angestellt,
die Bewohner befragt, auch in den Wäldern nach eventuell abgestellten Autos
gesucht … Alles vergeblich. Der Unfallgegner ist bisher wie vom Erdboden
verschwunden.«
»Haben Sie
untersucht, ob ein Geländewagen im näheren Umkreis zugelassen ist?«
Lüder hörte ein
Lachen am anderen Ende der Leitung. »Wir machen unseren Job nicht erst seit
gestern. Aber das nimmt Zeit in Anspruch. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie
viele Fahrzeuge dieser Kategorie in einer Region wie im Naturpark Westensee
zugelassen sind?«
Lüder hätte
Böttcher gern auf den Widerspruch hingewiesen, dass er zuvor von einer dünn
besiedelten Gegend gesprochen hatte. Er unterließ es, weil er keine Zweifel
daran hatte, dass Böttcher und seine Kollegen ihr Möglichstes taten.
»Was haben Sie
sonst noch unternommen?«, fragte er stattdessen.
»Wir haben die
Presse informiert und um Hinweise aus der Bevölkerung gebeten. Die
Staatsanwaltschaft prüft, ob sie eine Belohnung aussetzen will. Wenn wir
wissen, nach welchem Fabrikat wir suchen müssen, wird es für uns etwas
einfacher sein. Aber weshalb interessiert sich das Landeskriminalamt für diesen
Fall, selbst wenn es Vorsatz mit Fahrerflucht gewesen sein könnte?«
»Ich vermute, dass
es Mord war«, erwiderte Lüder.
»Sie meinen …
ein gezielter Anschlag?«, fragte Böttcher erstaunt.
»Ja.«
»Und Sie sind beim LKA in welcher Abteilung?«
»Drei.«
Lüder hörte, wie der
Oberkommissar durch die Zähne pfiff.
»Soll das heißen,
dass hier ein politischer oder gar terroristischer Akt vorliegt?«
»Die Ermittlungen
stehen am Anfang«, wich Lüder aus und unterließ es, auf den vermuteten
Zusammenhang mit dem Mord am Nord-Ostsee-Kanal hinzuweisen. Er bat Böttcher,
ihn über die weiteren Ermittlungen zu informieren.
»Sie sollten sich
mit dem Kieler K1 in Verbindung setzen«, sagte Böttcher zum Abschied. »Die
haben den Fall an sich gezogen, da wir von einer eindeutigen Tötungsabsicht ausgehen.
Wir leisten nur noch Amtshilfe.«
Anschließend
beschaffte sich Lüder die Adresse Marc Wullenwebers. Der Unfall lag jetzt neun
Tage zurück. Er musste die Witwe befragen, auch wenn es immer wieder
schwerfiel, mit den Hinterbliebenen zu sprechen.
Die Familie
Wullenweber wohnte in der Nettelbeckstraße, einer ruhigen Wohnstraße mit
Mehrfamilienhäusern, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft und in
gemischter Altersstruktur das Urbane dieses Viertels, aber auch die Nähe zum
Düsternbrooker Gehölz und zur Förde zu schätzen wussten. Und die nahe
Holtenauer Straße bot vielfältige Möglichkeiten zum Bummeln und Einkaufen.
Lüder betätigte
mehrfach den Klingelknopf. Vergeblich. Er hatte bemerkt, wie ihn eine ältere
Frau in der Erdgeschosswohnung kritisch durch einen Gardinenspalt beobachtete.
Erst nach mehrfachem Winken öffnete sie vorsichtig das Fenster.
»Ja?«, fragte sie
mit dünner Greisenstimme.
»Ich wollte zu
Frau Wullenweber.«
»Die ist nicht da.
Die sind doch heute zur Beerdigung auf dem Nordfriedhof. Wissen Sie das denn
nicht?«
Lüder bedankte
sich, ohne auf die wie ein Vorwurf klingende Erklärung
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