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Schwere Wetter

Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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komplett freilegen musste.
    Dr. Ulrich saß am
Kopfende der Patientin, kontrollierte die künstliche Beatmung und überwachte
die Vitalfunktionen. »Na, Liane«, murmelte er halblaut. »Du fühlst dich wohl.
Das ist gut so.«
    Natürlich konnte
die Patientin ihn nicht hören. Es war als Hinweis für die Chirurgen gedacht,
dass aus der Sicht des Anästhesisten alles reibungslos verlief.
    Dr. Ulrich hatte
vor der Operation eine Intubationsnarkose eingeleitet, bei der über das
Narkosegerät Sevofluran verdampft und über die Atemwege der Patientin zugeführt
wurde.
    »Ha«, sagte Dr.
Stricker.
    »Jetzt haben Sie
es«, bestätigte der assistierende Dr. Christen.
    Der Oberarzt bat
Schwester Angelika um die Clips, um den Gallengang und die arterielle
Versorgung der Gallenblase zu unterbinden.
    Die Schwester
reichte sie ihm. Der Arzt führte sie durch einen Arbeitskanal ein und nickte
zufrieden. »Das war die halbe Miete«, sagte er.
    In diesem Moment
flackerte das Licht.
    »So ein Sch…«,
fluchte Dr. Stricker, brach aber mitten im Wort ab, als totale Dunkelheit
herrschte. Bei minimal-invasiven Operationen wurden die Räume systematisch
verdunkelt, um einen besseren Blick durch die Optik zu bekommen.
    »Stromschwankung«,
sagte Dr. Ulrich. »Warum springt das Notstromaggregat nicht an?«
    »Das müsste doch
sofort da sein.«
    Dr. Stricker klang
verärgert. »Verdammt! Was ist da los?« Er drehte den Kopf in Richtung der
unsichtbaren Schwester Jana. »Kümmern Sie sich mal darum«, wies er an.
    In der Stille des
Operationssaals hörten sie, wie Schwester Jana sich zur Tür tastete. Es rumorte
kurz.
    »Der Türöffner
geht nicht«, sagte die Schwester in die Dunkelheit hinein.
    »Fluch und Segen
der Technik«, schimpfte Dr. Stricker. »Verflixt. Das Ding funktioniert
elektrisch. Wir sind zur Hilflosigkeit verurteilt. Wie gut, dass wir bei dieser OP keine Gefäße verletzt haben.« Wegen des Ausfalls
des Endoskops war das Operationsfeld im Augenblick unsichtbar.
    Der Anästhesist
tastete sich zum Unterarm der Patientin, in dem vor Operationsbeginn ein Zugang
gelegt worden war.
    »Jörg«, sagte der
Arzt. »Ich brauche Propofol.« Gleichzeitig diskonnektierte er den Schlauch vom
Beatmungsgerät, das aufgrund des Stromausfalls die Arbeit eingestellt hatte,
und schloss den Ambubeutel an, mit dem die Patientin mit Raumluft manuell
beatmet werden konnte, indem Pfleger Jörg rhythmisch den Beutel zusammenpresste.
    Dr. Ulrich zog die
Spritze auf, setzte sie am Venenzugang an und verabreichte der Patientin
intravenös das Narkotikum. Er würde die Narkose per Hand weiterführen.
    »Wie gut, Liane,
dass du von alldem nichts mitbekommst«, sagte er. »Du wirst nie erfahren, dass
die Onkel Doktoren mit einem bösen, bösen Stromausfall zu kämpfen hatten.«
    »Tja, mein lieber
Christen«, wandte sich Dr. Stricker an seinen jüngeren Kollegen, »wie gut, dass
wir Ärzte noch von Hand behandeln können.«
    Alles wirkte
unaufgeregt, als wäre das Meistern einer solchen Situation oft geübte Routine.
»Dann unterbrechen wir eben für ein paar Minuten«, sagte der Chirurg und sah in
die Richtung, in der Dr. Ulrich stehen musste. »Alles klar?«
    »So operiere ich
immer am Wochenende«, antwortete Dr. Ulrich, »wenn ich meine Privatpatienten
auf meinem Küchentisch liegen habe.«
    »Aber Sie
operieren doch nicht?«
    »Nein. Das macht
ein Hobbychirurg, da Sie und die anderen Profis sich ja zum Golfspielen
zurückziehen.« Er sah kurz auf die unsichtbare Patientin. »Allerdings benutze
ich zu Hause nicht Propofol, sondern Alkohol. Gegen Extraberechnung spritze ich
auch Champagner.«
    »Einer Ihrer so
behandelten Patienten ist mir neulich begegnet«, mischte sich Dr. Christen ein.
»Dem hat man den Führerschein abgenommen, weil die Polizei ihm nicht glaubte,
dass er zu einer ambulanten OP bei Ihnen auf dem
Küchentisch gelegen hat.«
    Sie wurden durch
das Flackern des Lichts abgelenkt. Es knackte kurz, dann war es wieder da.
    Dr. Stricker sah
auf die Uhr. »Vier Minuten«, stellte er lapidar fest. »Hätte auch länger dauern
können.« Er wusste, dass zu keiner Zeit Gefahr für die Patientin bestanden
hatte. Diesen Gedanken sprach er auch aus. »Wie hätte man diese Szene in einer
der zahlreichen Krankenhausserien wohl dargestellt? Was hätte der Dramaturg
daraus gemacht?«
    »Im Minimum hätten
sie dich, Liane, mehrfach mit dem Defibrillator hochfliegen lassen. Irgendwer
hätte ›Weg vom Tisch‹ geschrien, und du wärst bis

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