Schwere Wetter
sind meine ›Unterlagen‹.« Er zeigte auf eine SD -Card, die aus einem Schlitz an der Seite des
Notebooks herausragte. »Das ist mein Know-how. Wenn, dann hat man es darauf
abgesehen.«
»Was haben Sie
darauf gespeichert?«
»Material, mit dem
ich nach Mailand geflogen bin, um es zu präsentieren, sowie die Ergebnisse des
Symposiums.«
»Symposium – in
der ursprünglichen Bedeutung?«, fragte Lüder.
Eglschwiler winkte
lässig ab. »Sie meinen die altgriechische Übersetzung: gemeinsames geselliges
Trinken. Nein! Es war eine wissenschaftliche Konferenz.«
»Zu welchem Thema
haben Sie getagt?«
»Es ging um die
Datensicherheit von Ländern und Institutionen, um technische, aber auch
ethische und gesellschaftliche Fragen.«
»Der zweite Punkt
würde mich interessieren.«
»Ich nenne Ihnen
ein paar Beispiele. So gibt es bei uns Wissenschaftlern, die wir aus der
technischen Ecke der Informatik kommen, durchaus einen Dissens zur
elektronischen Fußfessel. Populär ist es, sie potenziellen Sexualstraftätern
ans Bein zu binden. Das findet breite Zustimmung in der Bevölkerung.
Philosophen, aber auch Theologen stellen jedoch die Frage, ob es mit der
Menschenwürde vereinbar ist.«
Lüder öffnete den
Mund und wollte antworten, aber Eglschwiler schnitt ihm mit einer Handbewegung
das Wort ab und klopfte sich mit der Hand zunächst aufs Herz, dann gegen die
Schläfe.
»Ich bin Vater. Im
Herzen wünsche ich mir, dass unsere Kinder von solchen Untaten verschont
bleiben. Aber im Kopf kann ich das Recht eines jeden einzelnen Menschen nicht
verdrängen.«
Es war das
Dilemma, vor dem auch die Juristen immer wieder standen. Die Menschen im Lande,
insbesondere die Eltern unter ihnen, hatten kein Verständnis dafür, dass Täter,
die ihre Strafe verbüßt hatten, in die Freiheit entlassen und bald wieder
straffällig wurden.
»Um es
vorwegzunehmen: Wir haben in Mailand keine Lösung gefunden. Nehmen wir ein
anderes Beispiel. Die gestohlenen Bankdaten aus der Schweiz und Liechtenstein,
die der deutsche Finanzminister hemmungslos zur Verfolgung von Steuersündern
ausgewertet hat. Oder das Navigationssystem mit dem doppelten Männernamen, das
ohne Wissen der Nutzer Daten über die Fahrgewohnheiten gesammelt, gebündelt und
ausgewertet hat. Sicher ist es gut, wenn man so Informationen über die Nutzung
bestimmter Strecken und Autobahnabschnitte erhält. Leider hat man – nein! Nicht man , sondern der Staat – das auch missbraucht zur
Schwerpunktbildung von Verkehrskontrollen, weil man auswerten konnte, wo
Autofahrer im größeren Stil Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht beachteten. Ist
das gut, weil Tempolimits Gefahren eindämmen sollen, oder will der
Stadtkämmerer mit dieser Abzocke das Stadtsäcklein füllen? Schließlich sind die
Einnahmen aus dieser Quelle fest eingeplant. Und wenn sich die Autofahrer zu
gesetzeskonform verhalten, fehlt im Etat eingeplantes Geld. So muss man die
Kontrollen forcieren. Das sind Fragen, die beantwortet werden wollen.«
»Das sind sicher
Themen, die nach einer Lösung verlangen«, sagte Lüder. »Aber sie sind nicht so
bedeutsam, dass man mit krimineller Energie das Ergebnis Ihrer Konferenz an
sich bringen wollte.«
»Darüber habe ich
auch nachgedacht«, antwortete der Professor. »Ich habe mir darauf keinen Reim
machen können. Wir haben natürlich noch andere Themen behandelt.«
»Sie müssten mir
ein paar Informationen zukommen lassen«, sagte Lüder. »Wir sprechen nicht über
einen Dummejungenstreich, sondern eine schwere Straftat. Und Sie waren die
Zielscheibe.«
Eglschwiler
musterte Lüder nachdenklich. Gedankenverloren nagte der Professor an seiner
Unterlippe und vergaß dabei, dass die aufgeplatzt war. Erst als er den salzigen
Geschmack von Blut schmeckte, nahm er den Dialog wieder auf.
»Das, was der Laie
gemeinhin ›den Computer‹ nennt, ist heute eine ganze Systemlandschaft im
Verbund. Handy und Internet, das ist in einem einzigen Gerät vereint. Sie
finden dort jede derzeit existierende Form technischer Kommunikation. Das
System kann zuhören und vorlesen, übersetzen und das biblische Hemmnis der
babylonischen Sprachverwirrung überwinden, das Gerät verfolgt Sie, weiß, wo Sie
sind und was Sie machen, erkennt Gesichter und Gebärden oder Pupillen. Das ist
uns in bekannten Systemen von Zugangs- und Identifizierungssoftware vertraut,
oder denken Sie an den Großversuch im Mainzer Hauptbahnhof, als Gesichter der
Reisenden gescannt wurden. Der Große Bruder ist
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