Schwere Wetter
Wind, ein seltsames Manöver, das er aus irgendeiner Subroutine hervorgekramt hatte und das sie noch nie beobachtet hatte. Jane sprach auch das ins Mikrofon, um überhaupt irgend etwas zu sagen, dann schaute sie auf ihr beleuchtetes Trouper-Armband.
Es war der 16. Juni, nachmittags um halb drei.
Dann wurde Charlie seitlich von einer noch stärkeren Bö getroffen, er überschlug sich und sprang wieder hoch. Und überschlug sich abermals und sprang wieder hoch, überschlug sich noch einmal und vollführte einen dritten Purzelbaum, tanzte unter der Wucht des Sturms wie ein Aikido-Meister. Bis Charlie auf einmal sehr hart landete und mit dem Fahrgestell gegen einen Baumstamm prallte. Und dann hörten alle Manöver auf.
Jane war nicht ohnmächtig geworden. Die Airbags waren wieder explodiert, jedoch nicht mit der gleichen Wucht wie beim erstenmal. Am scharfen Ozongeruch und dem stetigen Summen merkte sie, daß der Supraleiter geborsten war.
Alex packte sie bei der Schulter - von oben, denn sie hingen seitlich in den Sitzen, und der Wagen lehnte am Baum - und rief ihr etwas zu, das sie nicht mitbekam. Er schüttelte sie und rief wieder etwas und schüttelte seinen schmalen, regennassen Kopf, und dann kletterte er auf den Wagen und verschwand in der Dunkelheit.
Jane nahm an, daß Alex zumindest eine vage Vorstellung davon hatte, was er da tat, aber sie fühlte sich zu schwach und müde und hatte keine Lust, das Fahrzeug zu verlassen. Jane hatte sich schon häufig vorgestellt, wie es wäre, in einem zerschmetterten Verfolgungsfahrzeug zu sterben, daher war ihr die Situation einigermaßen vertraut. Jedenfalls war es erheblich angenehmer, als bei einem heftigen Unwetter in den Wald zu laufen und nach einer anderen Todesursache Ausschau zu halten.
Sie redete weiter. Sie wischte sich frisches Blut von der Oberlippe und redete weiter. Niemand antwortete ihr, aber sie redete trotzdem. Als Charlies Supraleiter knisternd den letzten Rest Spannung versprühten, fielen sämtliche Instrumente aus. Das Funkgerät funktionierte allerdings noch. Es verfügte über eine eigene Batterie. Jane redete weiter.
Nach einer halben Stunde tauchte Alex wieder auf. Der Sturm ließ hin und wieder nach, jedesmal ein langer, gläserner Moment gespenstischer Ruhe inmitten des Tosens. Außerdem war es nicht mehr ganz so finster. Im Westen sah man einen grünlichen, fahlen Lichtstreifen - der F-6 wanderte nach Osten. Der F-6 zog an ihnen vorbei.
Und die Zivilisation war offenbar nicht so weit entfernt, wie es vom Sitz des umgekippten Wagens zunächst ausgesehen hatte, denn Alex hatte erstaunlicherweise einen Frotteemantel mit Kapuze dabei, ein Sechserpack Bier in biologisch abbaubaren Dosen und einen halben Laib Brot.
Sie versuchte mit Alex zu reden, schrie ihn durch das ständige Donnergrollen hindurch an, doch er schüttelte den Kopf und faßte sich ans Ohr. Er war völlig taub. Wahrscheinlich war er schon im ersten Moment taub geworden, als der F-6 zugeschlagen hatte. Vielleicht würde er für immer taub sein, dachte Jane bei sich. Schlimmer noch, er wirkte wie von Sinnen. Sein Gesicht war mit schwarzem Dreck verschmiert - nicht bloß Dreck auf der Haut, sondern eintätowierter Dreck; sein ganzes Gesicht war getüpfelt von Hochgeschwindigkeitsdreck.
Er bot ihr eine Dose Bier an. Sie hatte nicht den mindesten Appetit darauf - zumal es sich um billiges, bakteriell erzeugtes Oklahoma-Bier namens ›Okie Double-X‹ handelte -, aber vom Schock hatte sie eine trockene Kehle, daher trank sie ein paar Schluck. Dann wischte sie sich das blutige Gesicht mit dem Handtuch ab, was unerwartet weh tat.
Alex stahl sich abermals davon. Er machte in dem stockdunklen Baumdickicht Jagd auf irgend etwas. Wonach suchte er bloß? Nach einem Regenschirm? Nach Galoschen? Einer Kreditkarte, einem funktionierenden Faxgerät? Wonach?
Keine zwei Minuten später kam Leo Mulcahey und rettete sie.
Leo traf in einem betagten Spezialeinsatzfahrzeug der Texas Ranger ein, einem achträdrigen städtischen Brummi mit einem abblätternden Texas-Stern auf der schwarzen Keramikpanzerung. Was ein Fahrzeug der Texas Ranger außerhalb der texanischen Jurisdiktion verloren hatte, stellte Jane vor ein Rätsel, doch das Ding war schwierig zu steuern, und Leo saß auf einem kleinen Kommandosessel, blickte durch ein VR-Sichtgerät und trug einen Kopfhörer. Jane hockte weiter hinten zusammengesunken auf einem beengten kleinen Campinghocker und zitterte wie Espenlaub. Leo war
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