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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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vollständig aufs Fahren konzentriert.
    Sie fuhren etwa zehn Kilometer weit, eine schwankende, furchtbare Fahrt mit einem halben Dutzend Unterbrechungen, als sie umgestürzten Bäumen entweder auswichen oder gewaltsam drüberfuhren. Dann steuerte Leo das Fahrzeug über eine feuchte Betonrampe in eine Tiefgarage. Hinter ihnen schloß sich ein Stahltor wie eine Luftschleuse, die Windgeräusche brachen unvermittelt ab, und flackernd schalteten sich Neonleuchten ein.
    Sie befanden sich in einem Sturmbunker.
    Ein Privatbunker, aber dennoch groß. Von der Garage gingen sie eine Treppe hinunter. Ein netter Ort, auf den ersten Blick ein richtiges unterirdisches Wohnhaus. Dicker Teppichboden, an den Wänden Ölgemälde, dazu Designerleuchten und irgendwo ein großer Supraleiter, der die Lampen mit Strom versorgte. Draußen war die Hölle los, aber sie hatten sich in einem großen, geldgefütterten Bunkergewölbe von Oklahoma in Sicherheit gebracht.
    Leo betrat einen kleinen, gekachelten Raum mit einer Komposttoilette, öffnete einen Wandschrank und reichte ihr ein kanariengelbes Handtuch. Dann zog er sich Schaumstoffstöpsel aus den Ohren und fuhr sich durchs wirre Haar. »Nun, Juanita«, meinte er und lächelte sie an. »Endlich sind wir uns begegnet!«
    Jane rieb sich Haar und Gesicht trocken. Schmutzig. Und sie hatte immer noch leichtes Nasenbluten. Es war wirklich eine Schande, ein so hübsches, dickes Handtuch blutig zu machen. »Wie hast du mich da draußen eigentlich gefunden?«
    »Ich habe deinen Notruf aufgefangen! Erst habe ich mich nicht getraut, den Bunker zu verlassen, aber dann ließ der Wind etwas nach, und du warst ganz in der Nähe, und… na ja« - Leo lächelte -, »da sind wir nun, beide wohlbehalten und unversehrt, also hat sich das Risiko wohl gelohnt.«
    »Mein Bruder ist noch da draußen.«
    »Ja« - Leo nickte -, »das habe ich auch gehört. Schade, daß dein Bruder - Alex, nicht wahr? - nicht beim Fahrzeug geblieben ist. Wenn der Wind weiter nachläßt, suchen wir nach deinem kleinen Bruder. Was meinst du?«
    »Warum retten wir ihn nicht jetzt gleich?«
    »Jane, ich bin kein Meteorologe, aber ich kann die SESAME-Meldungen lesen. Da draußen ist die Hölle los. Es tut mir wirklich leid, aber solange es draußen von Tornados nur so wimmelt, durchkämme ich keinen Wald wegen irgendeines vermißten Jungen. Wir beide hatten wirklich Glück, daß wir es lebend bis hierher geschafft haben.«
    »Dann fahre ich eben allein, ich kann das Ding steuern.«
    »Jane, mach keinen Ärger. Das Fahrzeug gehört mir nicht.«
    »Wem gehört es dann?«
    »Es gehört der Gruppe. Ich bin hier nämlich nicht allein, weißt du. Ich habe Freunde! Freunde, die sehr dagegen sind, daß ich den Bunker überhaupt verlasse. Würdest du das bitte zur Kenntnis nehmen? Betrachte es mal aus meiner Perspektive.«
    Jane verstummte. Doch lange zurückhalten konnte sie sich nicht: »Mein Bruder befindet sich in Lebensgefahr!«
    »Mein Bruder auch«, sagte Leo ernst. »Weißt du, wie viele Menschen in diesem Grauen bereits umgekommen sind? Fünf Städte wurden bereits plattgemacht, und der F-6 wandert geradewegs auf Oklahoma City zu! Zehntausende werden sterben, nicht bloß eine Person, die du zufälligst kennst! Das ist eine Katastrophe, und ich habe nicht vor, blindlings ins Verderben zu rennen! Reiß dich endlich zusammen!« Er öffnete einen hohen Schrank. »Da hast du einen Bademantel. Zieh das nasse Papier aus, Jane, und versuch zur Besinnung zu kommen. Du befindest dich in einem Sturmbunker, und dort sollten sich vernünftige Leute während eines Sturm aufhalten. Wir bleiben jetzt hier! Wir fahren nicht wieder los!«
    Er schloß hinter sich die Tür und ließ sie im Bad allein. Auf einmal begann sie heftig zu zittern. Sie schaute in den Spiegel. Vom Anblick ihres Gesichts bekam sie eine Gänsehaut. Sie sah furchtbar aus: eine Wahnsinnige, ein blutverschmierter Drachen.
    Sie probierte den Wasserhahn; ein dünnes Rinnsal übelriechenden Wassers kam heraus. Stark gechlort. Wenn man zu den Reichen von Oklahoma gehörte, konnte man ein Loch in die Erde buddeln und ein Haus hineinsetzen, aber dann hatte man immer noch kein ordentliches Wasser. Sie tat den Stöpsel in den Abfluß und wusch sich rasch das Gesicht. Dann schöpfte sie sich eine Handvoll Wasser übers Haar. Etwa ein Kilo rostfarbenen Oklahoma-Staubs tröpfelte aus ihrem Haar ins Waschbecken. Auch der Papieranzug war mit feuchtem Dreck verschmiert.
    Sie stieg aus dem Anzug, legte

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