Schwere Wetter
Spitze!«
»Danke«, sagte Leo. »Weißt du, Jane, es gibt viele Orte in Amerika, an denen Menschen nicht mehr leben können, aber für die Kommunikationstechnologien gilt das nicht. Die Geräte sind praktisch überall. In den USA - sogar in Alaska! - gibt es keinen Quadratmeter Boden mehr, der nicht im Erfassungsbereich eines Satelliten oder innerhalb eines Navigationsdreiecks läge, der nicht über Handy, über Netzrelais oder kabelloses Kabelfernsehen erreichbar wäre… ›Kabelloses Kabelfernsehen‹, das ist ein häßliches kleines Oxymoron, hab ich recht?« Leo schüttelte den Kopf. »Eine Gesellschaft muß schon ganz schön auf den Hund gekommen sein, um so einen Begriff zu prägen…«
Einen Moment lang schien er den Faden zu verlieren, dann faßte er sich wieder. »Bloß hier und jetzt nicht, Jane! Für einen leuchtenden Moment gilt das nicht für diesen einen Ort! Weil wir uns nämlich innerhalb des F-6 befinden! Am Ort der intensivsten, gründlichsten, weiträumigsten Zerstörung von nationaler Kommunikations-Infrastruktur, die es je gegeben hat. Vollständiger als bei einem Hurrikan. Gründlicher als bei einem Erdbeben. Weitaus effektiver als Brandstiftung und Sabotage, denn Brandstiftung und Sabotage wären in diesem großen Maßstab viel zu riskant und aufwendig. Und dennoch sitzen wir hier, verstehst du? Inmitten der Stille! Und niemand kann uns belauschen! Niemand kann uns überwachen! Kein Mensch.«
»Deshalb habt ihr mich im Wagen also gehört? Meinen Notruf? Weil ihr den Funkverkehr so intensiv abhört?«
»Genau. Wir hören das ganze Spektrum ab. In der Hoffnung auf die vollkommene Stille. Zum Glück verfügen wir über die erforderlichen Mittel, dem Projekt ein wenig nachzuhelfen - um ein paar essentielle Relais, besonders widerstandsfähige Sendemasten und so plattzumachen. Denn, bei Gott, die verfluchten Reparaturteams werden früh genug wieder an Ort und Stelle sein! Mit ihren Notfalltelefonanlagen und den provisorischen Funkrelais, und dann sind da noch diese beknackten Amateure, die ihre Dienstleistungen in Privatschuppen und selbst Badezimmerschränken betreiben, Gott sei uns gnädig! Aber für diesen kurzen Moment herrscht leuchtende, vollkommene Stille, und alles ist möglich! Alles ist möglich! Selbst Freiheit.«
Irgend jemand applaudierte lustlos.
Jane nahm einen Schluck Kaffee. »Warum braucht ihr soviel Stille?«
»Weißt du, was ›elektronische Haftverschonung‹ bedeutet?«
»Klar. Wenn beispielsweise Gefangene von der Regierung ein Armband verpaßt bekommen. Mit eingebautem Ortungsrelais. Wie bei meinem Trouper-Armband.« Sie hielt den Arm hoch.
»Genau. Wir haben hier alle ganz ähnliche Geräte.«
Jane war verblüfft. »Ihr seid auf Bewährung?«
»Nicht in der üblichen Bedeutung des Wortes. Es ist etwas Besonderes, Komplizierteres. Treffender wäre es, zu sagen, daß wir alle gebunden sind. Wir haben uns mit unserem Wort gebunden. Wir sind auch eine Art Truppe. Eine Truppe von Leuten in Knechtschaft.«
»Entschuldigung«, sagte der Mann am Breitbandscanner. Er war groß, stämmig, in mittleren Jahren und hatte einen kurzen Bürstenschnitt. »Dürfte ich das Gerät bitte mal sehen?«
»Mein Trouper-Armband?«
»Ja. Ma'am.«
Jane schnallte es ab und reichte es ihm.
»Danke.« Der Mann erhob sich, untersuchte Janes Armband sorgfältig, dann ging er in die Küche. Er legte das Armband neben die Spüle, öffnete eine Schublade, holte rasch einen Fleischklopfer heraus und schlug damit wiederholt auf Janes Armband ein.
»Was machen Sie denn da?« rief Jane.
»Die Welt ist groß«, sagte Leo zwischen den präzisen Hammerschlägen seines Freundes. »Die Welt ist alt, ein trauriger und böser Ort… Wir befinden uns in diesem Raum, wir sind unbestreitbar von dieser Welt, Jane. Wir sind ein ausgesprochen weltlicher Haufen!« Der Funker ließ Wasser über Janes kaputtes Armband laufen.
»Wir haben zu unserer Zeit mitgeholfen, die Bestimmung der Welt zu erfüllen«, sagte Leo. »Aber diese Art Macht erlangt man nicht ohne Verantwortung. Macht geht stets mit Verpflichtung einher, man muß dafür bezahlen. Die Menschen, die uns diese Armbänder anlegen - man könnte allerdings einwenden, daß wir sie uns einander eigentlich eher freiwillig anlegen -, diese Armbänder sind Ehrenabzeichen. Wir hielten sie für Auszeichnungen. Für narrensicher, für eine Art moralischer Rückversicherung. Für Talismane der Sicherheit! Aber im Laufe der Jahre… Es hört niemals auf, Jane,
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