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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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unangenehm, entweder graupelartig, breiig oder körnig, aber Jane hatte schon Unwetter gejagt, die steinharte, apfelsinengroße Hagelkörner zu wadentiefen Haufen getürmt hatten.
    Großer Hagel fiel nicht so wie Regen oder Schnee oder kleiner Graupelhagel. Großer Hagel ähnelte scharfrandigen, massiven Eisbrocken, die vom Dach eines dreitausendstöckigen Gebäudes fielen. Im texanischen Fortsatz hatte Jane im Frühjahr 2030 von einem Hagelkorn eine solche Rippenprellung abbekommen, daß sie sich eine ganze Woche lang mit Salbe hatte einschmieren und einen elastischen Verband tragen müssen. Dasselbe Unwetter hatte zwei der frühen Strandbuggies der Truppe dermaßen erwischt, daß sie hinterher mit Hunderten faustgroßer Dellen übersät gewesen waren.
    Trotzdem konnte man dem Hagel ausweichen, wenn man sich vom Unwetterzentrum fernhielt und das Radar aufmerksam im Auge behielt. Blitze waren anders. Blitzen konnte man nicht ausweichen; das war reine Glückssache. Bevor sie zur Truppe gestoßen war, hatte Jane den üblichen gutgemeinten Zivilschutz-Nonsense gehört, daß man sich von ungeschützten Höhen fernhalten und sich flach auf den Boden werfen solle, wenn man spürte, daß das Haar zu knistern begann, aber seitdem hatte sie eine Menge Unwetter erlebt, mit denen nicht zu spaßen gewesen war, und mittlerweile wußte sie über deren Beschaffenheit im wesentlichen Bescheid. Blitze waren ein im höchsten Grade nichtlineares Phänomen. Die meisten Blitze erweckten zwar den Anschein, den physikalischen Standardgesetzen zu gehorchen, Jane hatte jedoch häufig erlebt, wie selbst aus kleineren Gewittern auf einmal ein gewaltiger knisternder Feuerstrahl exzentrischer Naturgewalten hervorgebrochen war, der irgendeinen kleinen Flecken Erde heimsuchte, der aber auch nicht das geringste mit der ganzen Sache zu tun hatte. Blitze waren im Grunde eine verrückte Angelegenheit, und wenn man zufällig von einem getroffen wurde, konnte man verdammt wenig dagegen tun.
    Was Kollisionen anging, nun, Charlie, war ein megacooles Gerät, aber sein Programm umfaßte achthundertsiebenundfünfzig Millionen Zeilen. Ein gutes, solides, eingehend getestetes Programm, ausgespuckt über Parallelprozessoren, die weit schneller und präziser arbeiteten als das Nervensystem jedes menschlichen Fahrers. Aber Programm war und blieb Programm, und ein Programm konnte abstürzen. Sollte das Programm abstürzen, während Charlie gerade in einer bitverschlingenden Querfeldeinverfolgung begriffen war, dann würde Charlies Absturz das gleiche bedeuten wie ein Zusammenstoß mit einem präcybernetischen Fahrzeug: schnelles, hartes, dummes Metall gegen weiches, feuchtes, menschliches Fleisch.
    Sie umrundeten eine brodelnde rückseitige Abscherung und erblickten zwei Zacken, die sich wie ein riesenhaftes Paar Antilopenhörner aus der Rückseite des Nimbusschelfs wanden. Die Zwillingszacken besaßen eine bizarre Schönheit und lösten bei Jane ein Gefühl tiefer Dankbarkeit und Ehrfurcht aus, wirkten aber höchstens wie zwei F-2. Es kam nur selten vor, daß einem ein unorthodoxer Gewitterteil einen richtig großen Zacken bescherte.
    Nun, da das Ziel in Sicht war, machte Charlie sich ernsthaft an die Arbeit und kam ihm in kurzer Zeit ein beträchtliches Stück näher. Auf einmal war die Schleppe in der kühlen, feuchten Luft um sie herum spürbar. Nur ein Tornado erzeugte eine solche Schleppe. Wer die Schleppe einmal gehört hatte, konnte sie nie wieder vergessen.
    Jane liebte die Schleppe. Die elementare Lärmflut sprach etwas in ihr an, das tief und ursprünglich war und so zart wie ihr Zahnfleisch. Sie stellte etwas mit ihr an, das erfüllender war als Sex. Ein Schwall rein ästhetischer Kampfeslust stieg ihr den Rücken hoch, daß sie meinte, sie werde jeden Moment aus der Haut fahren und ihre Feuerschwingen entfalten.
    »Welchen willst du?« rief sie Rick zu.
    Rick schob sich die mit Gummi eingefaßten Okulare des Verbindungskabels zu den Teleskopkameras in die Stirn. Ohne Brille wirkten seine Augen wie wahnsinnig, geweitet und fiebrig. »Nimm dir den vor, der zuerst Bodenberührung kriegt!«
    Das Horn zur rechten schien das dominantere zu sein. Der komplizierten Maserung der dahinterliegenden Wolkenmasse nach zu schließen waren beide Zacken verzweifelt bemüht, auf einen langsamen Orbit umeinander einzuschwenken. Ricks Empfehlung klang vernünftig: der Zacken, der als erster den Boden berührte, würde wahrscheinlich eine bessere Aufwärtsströmung

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