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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Es war, als konzentrierte man sich ganz bewußt darauf, jemand anders langsam zum Orgasmus zu bringen.
    Jane trat ins Freie hinaus, verschaffte sich einen sicheren Stand, hob die Mündung an und spähte in die Zielvorrichtung der Bazooka. Sie drückte den ersten Auslöser. Ein rotes Lämpchen flammte auf. Sie gabelte den Tornado auf dem Zielbildschirm ein. Das rote Lämpchen ging aus, und ein grünes ging an. Jane drückte den zweiten Auslöser.
    Die Rakete startete mit einem die Waden versengenden Hitzerückstoß und flog direkt auf den Zacken zu. Sie sackte in den Turbulenzen ein paarmal kurz ab und verschwand dann unmittelbar in der rotierenden Düsternis; nicht unbedingt mitten ins Schwarze getroffen, aber gar nicht so schlecht. Jane beobachtete glücklich die Anzeige und wartete auf das Detonationssignal vom Explosivkanister der Düppel.
    Nichts. Sie wartete.
    Nichts. Schon wieder so ein gottverdammter Blindgänger.
    Jane senkte tiefenttäuscht die qualmende Bazooka und bemerkte zu ihrer Rechten auf einmal etwas Bewegtes und Farbiges. Unmittelbar rechts von ihr, vielleicht in zehn Metern Entfernung, hatte ein TV-Team mit einem Geländefahrzeug gehalten. Eine Korrespondentin mit Kopfmikrofon und einem reizenden gelben Regenmantel mit Armgelenken aus Messing war herausgesprungen. Sie machte gerade eine Aufnahme.
    Nicht von den Tornados. Von Jane.
    Jane war live im Fernsehen. Als sie es merkte, wurde sie von heftiger, irrationaler Wut überwältigt. Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig beherrschen, sonst hätte sie die Mündung herumgeschwenkt und damit gedroht, die Reporter in die Luft zu jagen, bloß um die Scheißkerle davonrennen zu sehen. Die Bazooka war jedenfalls ungeladen, und sie hatte keine Düppel mehr, und das war auch gut so, denn sonst wären die Typen mitsamt ihrem Allerweltsspot in die Luft geflogen. Jane wandte sich von den Kameras ab, biß die Zähne zusammen, verstaute die Bazooka mit professioneller Gründlichkeit, rannte um den Wagen herum, stieg wieder ein und knallte die Tür zu.
    »Das war Klasse!« rief Rick. »Verdammt noch mal, Janey, du bist gut mit dem Ding!«
    »Das war ein Blindgänger!« schrie Jane zurück.
    »Oh, Shit!«
    Jane schaltete die Geräuschunterdrückung der Kopfhörer ein. Das Tosen der Schleppe verstummte abrupt, jede einzelne Schallwelle wurde von einem Sound-Chip im Kopfhörer ausgelöscht. Das widerhallende Donnern wurde von einer unheimlichen, künstlichen, eigenartig feucht klingenden Stille ersetzt, als hätte sie den Kopf in einen großen, ausgehöhlten Kürbis gesteckt.
    Als Rick ihr wieder etwas zurief, war seine Stimme ein flaches, gefiltertes Dröhnen. »Rechts haben wir einen Staubwirbel! Wir werden den Antizyklon noch verlieren.«
    »Hab ich mir schon gedacht«, murmelte Jane, der die eigene Stimme laut in den Ohren klang. Rick hob seine Brille an, bemerkte, daß Jane die Geräuschunterdrückung eingeschaltet hatte, nickte erwartungsvoll, holte seinerseits einen Kopfhörer unter dem Beifahrersitz hervor und setzte ihn auf.
    »Man kann sie halt nicht alle festnageln«, murmelte Rick feucht über Kopfhörer. »Jedenfalls bekomme ich hervorragende photometrische Daten rein. Geh näher an den linken ran.«
    Der Zacken zur Rechten hatte jetzt Bodenberührung und versuchte sich zu stabilisieren. Er pflügte in einem Kilometer Entfernung durch einen Flecken hohen Grases und wirbelte eine Wolke aus Dreck und Stroh auf. Noch keine größeren Brocken, aber das Stroh war kein Witz; Tornado-Stroh, das waren fliegende, hochbeschleunigte Nadeln, die in der Lage waren, Bretter und selbst Baumstämme zu durchbohren.
    Sie befahl Charlie, die Verfolgung fortzusetzen, wobei sie dem rechten Zacken auswich und näher an den Antizyklon heranging. Er hatte noch keine Bodenberührung, und es schien fraglich, ob er jemals welche bekommen würde. Der hintere Tornado wurde allmählich hinter die Front gezogen, in den Windschatten seines größeren Bruders hinein, wobei er vor Empörung ausschlug und sich krümmte.
    Tornados waren keine Lebewesen. Tornados hatten keinen eigenen Willen, sie empfanden weder Freude noch Schmerz. Im Grunde waren Tornados lediglich mächtige Stürme. Bloße atmosphärische Wirbel, natürliche Gebilde aus sich rasch bewegender Luft, die blindlings den Gesetzen der Physik gehorchten. Einige dieser Gesetze waren allerdings seltsam, kompliziert und nichtlinear, daher war das Verhalten der Wirbelstürme bisweilen unberechenbar, aber Tornados hatten nichts

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