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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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ihr steckte. Sie hatte Abstürze, Aussetzer und Blockaden gemeistert, die bei Mickey heftiges Fluchen ausgelöst hatten und über denen Rick so tief im Programmcode versunken war, daß er wie volltrunken im Camp herumtaumelte.
    Der Unterschied zwischen Programmieren und der Beschäftigung mit Interfaces war wie der Unterschied zwischen einem Soldaten und einem Diplomaten. Manche Krisen erforderten eben eine politische Lösung.
    Jane verwahrte das Notizbuch in einem Kunststoffkasten, der unter Jerrys Vermittlungssimulator festgeklebt war. Dies war der sicherste Aufbewahrungsort im ganzen Lager, denn Jerrys Simulator war das wertvollste Gerät der Truppe. Der Simulator war der einzige Kasten, der Jane tatsächlich beeindruckte. Die US-Regierung hatte während des Ausnahmezustands einen Mordswirbel um Klimasimulatoren gemacht und in einem Tempo Geld in die globalen Klimamodelle gesteckt, daß sogar das Pentagon nur hatte staunen können. Geräte wie das von Jerry schienen Brobdingnag zu entstammen, dem Land der Riesen aus Gullivers Reisen - Jerrys Gerät verfügte über eine größere Rechenleistung, als der ganze Planet im Jahre 1995 besessen hatte.
    Offiziell war Jerrys Gerät eine ›Leihgabe‹ des SESAME-Collaboratory, eines Forschungsnetzes, in dem Jerry einen ziemlich guten Stand hatte, dennoch war nicht damit zu rechnen, daß irgendwann jemand auftauchen und es wieder abholen würde. Im Grunde war Jerrys Kasten allen bis auf die Truppe scheißegal. Es war sonnenklar, daß die Probleme der
    Klimamodelle mit bloßer Rechenleistung niemals zu lösen sein würden. Die Rechenleistung war gar nicht das Nadelöhr; das eigentliche Nadelöhr waren die Annahmen, die Näherungsverfahren, die Konzepte und die Programme.
    Jane klappte ihren Lieblingslaptop auf, schleppte den angeschlossenen Monitor zu Mickeys Sysadministrationsmaschine und vergewisserte sich, daß sämtliche Geräte abgeschaltet waren. Peter, Greg und Martha hatten ihre Arbeit getan; abgesehen vom Telecom-Mast waren sämtliche Empfangsmasten nun offline und ausgeschaltet. Der Telecom-Mast blieb immer bis zuletzt stehen. Eigentlich wäre es vernünftiger gewesen, die Sicherheitssysteme als letzte abzubauen, aber die Begrenzungspfosten waren saudumme, paranoide kleine Gebilde, die jeden plötzlichen Datenverlust als glaubhaften Beweis für feindliche Sabotage betrachteten. Wenn man sie nicht vorher sanft einlullte, drehten die Pfosten durch.
    Auf Janes Bildschirm erschien ein Icon. Ein Telefonanruf - unter ihrer Nummer. Überrascht nahm sie den Anruf entgegen.
    In der oberen rechten Ecke des Laptops öffnete sich ein postkartengroßes Videofenster. Es war ein Fremder: glattrasiert, sandfarbenes Haar, eine distinguierte Erscheinung, etwa Ende dreißig. Nachlässige Eleganz, auf eine seltsam gepflegte Weise. Von ferne wirkte er vertraut. Er trug Hemd, Jackett und Krawatte.
    »Hallo?« sagte der Fremde. »Spreche ich mit Juanita?«
    »Ja?«
    »Gut«, sagte der Fremde und blickte lächelnd auf seinen Schreibtisch hinunter. »Ich war mir nicht sicher, ob es klappen würde.« Er schien sich in irgendeiner Hotellobby zu befinden, vielleicht auch in einem sehr wohnlich eingerichteten Büro. Hinter seinem Kopf machte Jane eine Lithografie und den Zweig einer Topfpflanze aus.
    Der Fremde sah von seiner Tastatur auf. »Ich bekomme kein Videosignal rein, soll ich meinerseits die Übertragung ausschalten?«
    »Tut mir leid«, antwortete Jane und beugte sich zum Einbaumikrofon des Laptops vor. »Ich spreche über einen Laptop, ich habe hier keine Kamera.«
    »Schade«, meinte der Fremde und rückte seine Krawatte zurecht. »Weißt du, Juanita, daß ich dich noch nie gesehen habe? Irgendwie habe ich mich drauf gefreut.«
    Am Kopf des Fremden saßen Jerrys Ohren. Jane wäre nicht erstaunter gewesen, hätte er Jerrys Ohren an einer Schnur um den Hals getragen. Doch dann ließ der Schock nach, und Jane wurde erschauernd klar, wen sie da vor sich hatte. Sie lächelte verlegen den Laptop an, obwohl der Fremde sie nicht sehen konnte. »Du bist Leo, stimmt's?«
    »Stimmt«, sagte Leo Mulcahey, lächelte sanft und zwinkerte ihr zu. »Können wir reden?«
    Jane blickte sich in der Kommandojurte um. Mickey und Rick standen beide für ein Bad an. Normalerweise ließen sie sie erst eine Weile allein werkeln, bevor sie wieder auftauchten, die Diagnose durchführten und die Geräte zu den Wagen schleppten.
    »Ja«, sagte sie. »Ich glaub schon. Wenn's nicht zu lange dauert.« Sie sah

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