Schwerelos
sei ein bisschen mehr wie deine Haare!»
Ich hatte ja keine Ahnung, dass das ihr letzter Wunsch sein würde.
Mein Haar führt tatsächlich ein Eigenleben. Das war schon immer so. Völlig unbeeindruckt von meinen Styling-Versuchen, entscheidet es sich mehrmals am Tag für eine neue Frisur. Leider haben mein Haar und ich nicht den gleichen Geschmack.
Meine Güte, wie beneide ich Frauen mit glatten, gescheitelten Haaren, die immer gleich gut aussehen! So eine Frisur würde mich nicht ständig verunsichern und viel besser zu mir und meinem sicherheitsbedürftigen Gemüt passen. Man macht sich als unkompliziert behaarter Mensch ja keine Vorstellung, wie mühsam es ist, sich auf ein sachliches oder, schlimmer noch, romantisches Gespräch zu konzentrieren, wenn man andauernd befürchten muss, dass man auf dem Kopf aussieht wie ein Cockerspaniel unter Starkstrom.
Ich habe wirklich alles versucht, um die störrischen Dinger zur Vernunft zu bringen. Ich habe sie ausdünnen lassen,sie mit Glätteisen, Haarlack, Smoothing Lotion, Schaumfestiger, Wachs und Styling Gel der Sorte extra strong Control bearbeitet. Nichts half. Im Grunde führen meine Haare das wilde und unberechenbare Leben, vor dem es mir immer gegraut hat.
«So, auf Nimmerwiedersehen.»
Tante Rosemarie hob den Arm und warf ihren Ehering mit einer eleganten Bewegung in die Alster.
«Das Gute ist ja», sagte ich, «dass wir nach deiner Scheidung wieder beide Rosemarie Goldhausen heißen.»
«Da hast du recht. Und was mir auch sehr gut gefällt, ist die Vorstellung, dass auf meinem Grabstein mein Mädchenname stehen wird. Das ist doch für eine Frau meines Alters ziemlich emanzipiert. Ich habe eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto und ein Grab ganz für mich allein!»
Jetzt bin ich die einzige Rosemarie Goldhausen. Und trage denselben Namen wie der Grabstein vor mir. Meine Tante hat mich mein ganzes Leben lang bemitleidet, dass ich genauso heißen musste wie sie.
Meine Eltern hatten so fest auf einen Jungen gehofft, dass sie sich über die unerwünschte Alternative keine Gedanken gemacht hatten.
«Negative Gedanken führen zu negativen Ergebnissen», hatte mein Vater geantwortet, als meine Mutter kurz vor der Niederkunft fragte, welche Mädchennamen er schön fände. Nach meiner Geburt wählte er den Namen aus, der ihm vertraut war: Rosemarie. Und das, obwohl er seine ältere Schwester nicht leiden konnte.
Meine Eltern haben es mir dann aber zügig verziehen, dass ich ein Mädchen geworden bin. Das liegt daran, dass ich drei jüngere Brüder habe: Horst, Dietmar und Ulrich. Diese Namen klingen zwar auch nicht so, als hätte jemand lange und wohlwollend nachgedacht, aber ich kann an dieser Stelle nur erneut auf den schlechten Geschmack meiner Mutter verweisen – hier in Kombination mit einem dankbaren Vater, dem es total egal war, wie seine Kinder heißen, solange es bloß Jungs waren.
Mürrisch betrachte ich Heinz-Peter, wie er den monströsen Kranz in Zeitlupe ablegt, damit auch wirklich alle ausreichend Gelegenheit haben, das finanziell hochwertige Gebinde bewundern zu können.
Ich schließe die Augen. Vor Kummer und Wut.
Und reiße sie erschrocken auf, als ich erst ein metallenes Scheppern höre und dann einen zornigen Ausruf: «Scheiße! Meine Uhr!»
Die Angeber-Rolex ist Heinzelmann übers mickrige Handgelenk gerutscht und liegt jetzt in der grabeskalten Tiefe. Das wütende Heinzelmännchen erinnert an Rumpelstilzchen, wie er schimpfend um das Grab herumhopst und sich teilweise gefährlich weit über den Rand beugt.
Es gibt eine kurze Diskussion mit dem Pfarrer, aber die Sargträger sind schon gegangen, und Heinz-Peter ahnt wohl, dass er sich den Versuch sparen kann, einen Bergungstrupp aus Freiwilligen zusammenzustellen, da keiner gut auf den geizigen Millionär zu sprechen ist.
So kommt Tante Rosemarie doch noch zu einer teuren Bestattung, denke ich grimmig.
«Zahlt das die Versicherung?», fragt Heinz-Peter denPfarrer. Der lächelt geistlich. «Das glaube ich kaum. So etwas fällt wohl unter höhere Gewalt.»
Jetzt muss auch ich lächeln. Zum ersten Mal an diesem Tag, an dem mir von innen und außen schrecklich kalt ist.
Ich trete als Letzte ans Grab. Ich habe keinen Strauß in der Hand. Sie konnte Blumen nicht leiden. Sie mochte Bäume und Berge und Rapsfelder und Wüsten und Schlingpflanzen und Kakteen.
Aber in ihrer Wohnung irgendwelchen Sträußen beim Verwelken zuzuschauen, dazu hatte sie keine Lust: «Ich schau mir doch
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