Schwert und Laute
versorgen, und Patrick begleitete mich zu Mrs. Hay. Niedergeschlagen flüchtete ich auf mein Zimmer, weigerte mich, mit jemandem zu sprechen und überließ es Patrick, Vater die Lage zu erklären.
Der Mond hatte einen Hof, und die Nachtluft, die durch das offene Fenster drang, war feucht und kühl. Ich fragte mich, ob Liam in seiner Kerkerzelle den Mond wohl auch sehen konnte, aber ich zweifelte daran. Die Tränen brannten auf meiner Haut. Drei Tage ohne Nahrung und vier Nächte ohne richtigen Schlaf forderten schließlich ihren Tribut von meinem Körper und meinem Geist. Ich fühlte mich mehr tot als lebendig und schwankte ständig zwischen Benommenheit und heftigen Verzweiflungsausbrüchen. Ich ließ mich auf das Bett fallen, das unter dem Aufprall ächzte. Das Metall des Rings an meinem Finger fühlte sich kühl an. Vergib mir, mo rùin, vergib mir. Wieder sah ich Liams Blick, unmittelbar bevor die Soldaten ihn abgeführt hatten, diesen verzweifelten Blick, der mir das Herz verbrannte und kalte Schauer über meinen Rücken jagte. Er war bis in sein tiefstes Inneres verletzt. Ich hatte ihn verraten, und jetzt litt er in einem Kerker unterhalb des alten Tolbooth-Gefängnisses von Edinburgh, das man hier »das Herz von Midlothian« nannte.
Nachdem der erste Schreck über seine Verhaftung vorüber war, versuchte ich, mich an etwas Festes zu klammern, doch ich griff immer wieder ins Leere. Sie würden Liam für das Verbrechen verurteilen, das ich begangen hatte. Sie würden ihn zum Tode verurteilen, weil er mich hatte beschützen wollen. Ich schwebte in einem Albtraum ohne Ende. Erschöpft ließ ich mich vom Schlaf überwältigen und wünschte mir, ich bräuchte nie wieder aufzuwachen.
Doch mein Wunsch wurde nicht erfüllt, weder am nächsten Morgen noch an den folgenden Tagen. Meine Umgebung ließ es sich
angelegen sein, mich von morgens bis abends zu beschäftigen, in der Hoffnung, dass ich so nicht in einen lähmenden Zustand tiefer Niedergeschlagenheit oder völliger Verzweiflung verfallen würde.
Mein Vater ließ sich einen halben Tag frei geben und beschloss, dass es Zeit sei, meinen Bruder Matthew wiederzusehen. An einem schönen, sonnigen Nachmittag machten wir unsere Runde durch die Tavernen und die verräucherten Schenken, auf der Suche nach dem, was von meinem Bruder übrig geblieben war. Wir fanden ihn im »Walter’s Land Inn«, das ironischerweise in der World’s End Close, in der »Gasse am Ende der Welt«, lag.
Ich bekam einen gewaltigen Schrecken, als ich diesen Unbekannten erblickte, der vor mir saß und eine vage Ähnlichkeit mit meinem Bruder von einst aufwies. Matthew hatte beschlossen, sein Leid im Whisky zu ertränken. Es musste ungefähr zwei Uhr nachmittags sein, und in der schmutzigen, ekelhaften Taverne herrschte erstickende Hitze. An die Wand gelehnt, schlummerte er in aller Ruhe. Sein geöffneter Mund wirkte wie eine Einladung an die Vielzahl von Fliegen, die fröhlich auf den klebrigen Tischen herumschwärmten. Ich saß betrübt vor einer Teetasse von zweifelhafter Sauberkeit.
Er öffnete ein Auge, schloss es wieder und schlug dann das andere auf. Plötzlich fuhr er hoch wie von der Tarantel gestochen und war hellwach. Sprachlos starrte er mich an.
»Kitty? Bist das wirklich du?«, stammelte er und kniff die blutunterlaufenen Augen zusammen.
»Ja, ich bin es, Matthew.«
»Kitty! Kitty! Oh! Das ist verflucht lange her...«
»Zwei Jahre, Matt.«
»Zwei Jahre«, murmelte er, wie an sich selbst gerichtet. »Schon? Weißt du, manchmal verliere ich den Zeitbegriff...«
Er lächelte, wodurch die Falten hervortraten, die sich in seinem abgemagerten Gesicht auszubreiten begannen.
»Du hast dich verändert, Kitty. Man sollte meinen, du wärest... ich weiß nicht... Du bist jetzt eine Frau.«
Mit seinem Armstumpf schob er eine braune, schmutzige und
verfilzte Haarsträhne zurück, die ihm in die Augen fiel, und betrachtete mich dann aufmerksam.
»Vater hat mir erzählt, dass du geheiratet hast.«
»Ja«, sagte ich und seufzte bei dem Gedanken, dass ich außerdem Gefahr lief, bald Witwe zu werden.
»Einen Schotten, wie es scheint?«
»Er heißt Liam Macdonald.«
»Kitty Macdonald also«, meinte er lächelnd.
Er führte sein leeres Glas an die Lippen, stellte es dann geräuschvoll wieder ab.
»Ich würde ja einen Toast auf dein neues Leben ausbringen, aber da muss mir wohl jemand meinen Whisky ausgetrunken haben, während ich mein kleines Nickerchen gehalten habe«, murrte
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