Schwerter der Liebe
kleinen Satan zu fassen kriegen, der sich hinter Ihnen versteckt.«
Seine tiefe, volle Stimme mit ihrem fast melodischen Rhythmus hatte auf Juliette eine höchst sonderbare Wirkung. Es war fast so, als würde diese Stimme sich wie ein
Mantel um sie legen, all ihre Sinne überwältigen und tief in ihrem Inneren widerhallen. Eine träge, irritierende Hitze flammte irgendwo in der Magengegend auf und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Es war ein sehr eigentümliches Gefühl, wie sie es noch nie gespürt hatte. Einen Moment lang stand sie einfach nur nachdenklich da, den Blick auf den Gentleman gerichtet.
Dass er die männliche Schönheit in Person war, stand außer Frage. Glänzendes schwarzes gewelltes Haar, auf kecke Art zerzaust von der Verfolgungsjagd. Eine Locke hatte sich auf seine Stirn verirrt. Seine Augen waren fast so dunkel wie sein Haar, dichte, geschwungene Wimpern rahmten sie ein. Die Brauen wiesen einen fast schon satanischen Zug auf, dazu eine gerade, römisch anmutende Nase. Vervollkommnet wurde das Gesicht durch einen beinahe sündigen Mund mit vollen, makellosen Konturen. Juliette fühlte sich an Kupferstiche italienischer Meister erinnert, die in ihren Werken gefallene Engel verewigt hatten.
Ihr erschien es, als würde sie ihn kennen, auch wenn sie sich sicher war, dass sie einander nie vorgestellt wurden. Bei ihren seltenen Besuchen zu Hause ging sie so gut wie nie aus, abgesehen von den gesellschaftlichen Anlässen bei ihrer Familie oder bei Freunden, sodass ihr Bekanntenkreis recht klein war. Und doch war da irgendwo eine flüchtige Erinnerung ...
Der Gentleman erwiderte ihren Blick und musterte sie abschätzend, wobei er ihr zunächst ins Gesicht sah, dann aber den Schwung ihrer Schultern und ihres Busens unter dem blassen Stoff musterte. Es geschah so schnell, dass es ihr vielleicht gar nicht aufgefallen wäre, hätte sie ihn nicht so aufmerksam betrachtet. Ihr kam es vor wie eine flüchtige Liebkosung, die ihr auf der Haut kribbelte. Sie bemerkte, wie sich ihre Brustspitzen aufrichteten, als würde ihr ein Schauer über den Körper laufen. Sie war jedoch davon überzeugt, es war lediglich dieser ungewöhnliche Blick, der diese Wirkung bei ihr auslöste. Die meisten Männer, die sie kannte, wären sich dessen bewusst gewesen, wie unangemessen ein solches Verhalten gerade ihr gegenüber wirkte. Zumindest war das bis zu den jüngsten Ereignissen so gewesen, hielt sie sich vor Augen.
Vielleicht war es ihr plötzliches Erröten, das den Gentleman dazu brachte, sich wieder aut den Jungen zu konzentrieren, der sich immer noch an sie klammerte.
»Non, mais non«, rief der Junge, als der Mann einen Schritt nach vorn machte, und riss sie mit seinem gelispelten Protest aus ihrem Tagtraum. »Ich geh nich mit dir mit!«
»Das wirst du sehr wohl, wenn du weißt, was gut für dich ist«, sagte der Gentleman und setzte den Hut wieder auf.
»Non, non, non!«
»Ich gebe dir auch ein Bonbon ...«
»Du gibs mir ’n Bad! Will kein Bad!« Die Stimme des Jungen klang hysterisch.
Der Gentleman täuschte zur einen Seite an, dann griff er mit einer Drehung zur anderen Seite um Juliette herum. Er hätte den dünnen Arm des Jungen sicherlich zu fassen bekommen, wäre der nicht mit einem Aufschrei nach hinten zurückgewichen und dabei auf sein Hinterteil gefallen.
»Monsieur«, sagte Juliette entschieden und stellte sich vor das Kind. »Es wäre viel besser, wenn Sie es mit vernünftigen Argumenten versuchen würden, anstatt Ihrem Sohn Angst zu machen.«
»Noch besser wäre es, wenn Sie mir aus dem Weg gehen würden.« Der Mann würdigte sie kaum eines Blickes, als er versuchte, ein Bein des Jungen zu fassen zu bekommen, der ihm aber erneut entwischte.
»Er darf mich nich kriegen! Nein, nein, nein ...«, jammerte der Junge, während er über das raue Pflaster vor der Kirche außer Reichweite rutschte.
»Monsieur!« Juliette schoss auf den Gentleman zu, da die Schreie des erbärmlich dünnen Jungen sie zutiefst anrührten.
Mit finsterer Miene ignorierte der Vater sie und unternahm einen weiteren Versuch, den Jungen zu packen. Juliette hob eine Hand und fasste den Mann am gerollten Samtkragen seines tabakbraunen Gehrocks. Im nächsten Moment war das Geräusch von zerreißendem Stoff zu hören.
Der Gentleman verharrte einige Augenblicke lang in seiner vorgebeugten Haltung, dann richtete er sich langsam auf, bis er vor Juliette stand und sie deutlich überragte. Er zog die Augenbrauen zusammen und
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