Schwerter der Liebe
warf ihr einen Blick zu, der voller Wut war.
»Mademoiselle«, setzte er mit unheilvollem Tonfall an.
Juliette ließ ihn los, während ihr noch heißer wurde. Den Blick auf die Stelle gerichtet, an der sie den Kragen vom Revers abgerissen hatte, sagte sie förmlich: »Dieses Missgeschick tut mir leid, aber es ist ganz allein Ihre Schuld. Ich kann nicht zulassen, dass Sie den Jungen grob behandeln. Das ist grausam und ...«
»Grausam?«, wiederholte ihr Gegenüber entrüstet. »Sie sehen das Ganze völlig falsch, das versichere ich Ihnen. Dieser Bengel macht viel Lärm um nichts. Wenn Sie wüssten, wozu er in der Lage ist, dann ...«
Der Gentleman redete weiter, doch Juliette hörte ihm längst nicht mehr zu. Mit einem Mal überkam sie die erschreckende Gewissheit, wer dieser Gentleman war. Hätte sie nicht so viel Zeit ihres Lebens hinter Klostermauern verbracht, hätte sie ihn bestimmt sofort erkannt. Berichte über seine Eskapaden waren sogar bis ins Kloster vorgedrungen, wo junge Mädchen sie sich hinter vorgehaltener Hand erzählten, die über solche Dinge eigentlich gar nichts wissen sollten. Es war Paulette, die auf der Straße auf ihn hingewiesen hatte, als Juliette im Winter des Jahres zuvor bei ihrer Familie zu Besuch gewesen war. Jetzt hämmerte ihr Herz so wild in ihrer Brust, dass sie kaum atmen konnte.
La Roche.
Der Mann vor ihr war der berüchtigte Fechtmeister Nicholas Pasquale, genannt The Rock oder La Roche, da er auf der Fechtmatte eine schier reglose Kampfhaltung einnahm und sein Körper wie versteinert wirkte. Er war bei einem Duell noch nie touchiert worden, und selbst bei den Fechtstunden, die er gab, ließ er kaum einmal zu, dass man ihn touchierte. Von zärtlichen Gefühlen, so erzählte man sich, war er noch nie berührt worden. Er galt als der beste Fechter der Stadt, wenn man jenen glaubte, die es wissen sollten. Er kämpfte in der Position Sinister oder linkshändig, was ihn zu einem erschreckenden und recht bizarren Gegner machte. Junge Männer imitierten sein Verhalten und seinen perfekten Stil, was die Garderobe betraf. Altere Männer dagegen wurden blass, wenn sie seinen Namen hörten, und versuchten, sich bei ihm einzuschmeicheln. Man tuschelte, er habe ein halbes Dutzend Männer im Ehrenhandel getötet, in einem Fall auch den Ehemann einer Frau, die halb nackt in den Privaträumen seines Ateliers entdeckt worden war. Dazu kam, dass er auch noch vom Glück verfolgt wurde. Immerhin hatte er jüngst in der staatlichen Lotterie ein Vermögen gewonnen, das sich auf die bis dahin unvorstellbare Summe von mehr als zwei Millionen Dollar belief.
Er war der gefährlichste, meistgefürchtete Mann von ganz New Orleans, der zudem für einen erlesenen Geschmack in Fragen seiner Garderobe bekannt war und gute Kleidung schätzte. Und sie, Juliette Armant, hatte nicht nur die Hand gegen ihn erhoben, sondern auch noch seinen Mantel zerrissen.
Der kleine Junge schien in Juliette wohl eine Verbündete zu sehen, daher bezog er wieder hinter ihr Stellung. La Roche beugte sich abermals vor, um nach ihm zu greifen. Schnell wie eine Maus packte das Kind mit beiden Händen Juliettes aschgrauen Cordsamtrock und die Unterröcke, hob sie hoch und schlüpfte darunter. Der schwere Stoff legte sich über ihn und bedeckte ihn so vollständig, dass er ganz unter den großzügigen Falten verschwand.
Einen Moment lang war Juliette vor Wut wie gelähmt. Ihr stockte der Atem, und es hatte ihr die Sprache verschlagen. Eine Mischung aus Entsetzen und Bewunderung für den Mut des Jungen, aber auch aus Angst und Vorsicht, als sie in Nicholas Pasquales Augen schaute, überkam sie.
Der Fechtmeister fluchte leise, wich ein paar Schritte zurück und drehte ihr den Rücken zu. Er fuhr sich durchs Haar und legte dann eine Hand in den Nacken, gleichzeitig hob und senkte sich seine Brust bei jedem seiner Atemzüge. Es war deutlich, wie bemüht er war, sein Temperament zu zügeln. Juliette hielt es für das Beste, ihn dabei nicht zu stören.
Noch während sie den Fechtmeister ansah und dabei bemerkte, wie sehr sich sein Rücken von den breiten Schultern bis hin zur Taille seines Gehrocks verjüngte, spürte sie, wie der Junge sich enger an ihre Beine schmiegte. Sie fühlte dabei die Wärme seines kleinen knochigen Körpers Ihr wurde schwer ums Herz, und in ihr regte sich der sonderbare, aber dringende Wunsch, den Jungen um jeden Preis zu beschützen — ganz gleich wie gefährlich dessen Feinde auch sein mochten.
Sie
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