Schwerter und Eiszauber
wichtigtuerisch, und summte dabei aufgekratzt das Lied vor sich hin, zu dessen Klang sie den ganzen Tag marschiert waren – das Lied des Mauslings, um genau zu sein: das Lied Lokis.
Afreyt runzelte die Stirn. Normalerweise war Groniger ein ungemein sachlicher Mann, sie hatte ihn früher sogar für ein wenig schwerfällig gehalten. Jetzt aber gebärdete er sich beinahe wie ein Possenreißer. War »ungeheuer lustig« ein zu starker Ausdruck dafür? Langsam schüttelte sie den Kopf. Alle Reifbewohner schienen sich ähnlich zu entwickeln, sie reagierten lümmelhaft, grotesk, wirkten irgendwie größer, tolpatschiger. Vielleicht lag es an ihrer Erschöpfung, daß sie die Dinge verzerrt und nicht mehr im richtigen Verhältnis sah, überlegte sie.
May kehrte zurück, und sie griffen nach ihren Löffeln und begannen zu essen. »Gale wollte nicht herauskommen«, erzählte das Mädchen nach kurzer Zeit. »Ich glaube, sie und Odin führen etwas im Schilde.« Sie zuckte die Achseln und aß weiter. Nach einigen Minuten bemerkte sie: »Ich werde auch Schlingen für Mara und Kapitän Fafhrd machen.« Schließlich kratzte sie ihre Schale aus, stellte sie zur Seite und fragte: »Kusine Afreyt, glaubst du, daß Groniger ein Troll ist?«
»Was ist denn das?« fragte Afreyt.
»Ein Wort, das Odin gebraucht hat. Er sagt, Groniger wäre ein Troll.«
Gale sprang mit ihrer leeren Schale aufgeregt aus der Sänfte, vergaß aber nicht, die Vorhänge hinter sich zu schließen.
»Odin und ich haben für uns ein neues Marschlied geschaffen!« verkündete sie und stellte ihre Suppenschale in Mays Teller ab. »Er findet das Lied des anderen Gottes in Ordnung, meint aber, er müßte auch eins haben. Hört zu, ich singe es euch vor. Es ist kürzer und schneller als das andere.« Ihr Gesicht verzerrte sich etwas. »Es geht wie Trommelschlag«, erklärte sie voller Ernst. Dann stampfte sie mit einem Fuß auf:
»Marschiert, marschiert übers Totenland!
Geht übers Land des Verderbens.
Tötet die Mingols mit rascher Hand,
so wie die Helden sterben.
Verderben! Herrliches Verderben!«
Ihre Stimme war immer lauter geworden.
»Herrliches Verderben?« wiederholte Afreyt.
»Ja. Los, May, sing mit!«
»Ich weiß nicht, ob ich das möchte.«
»Ach, mach schon! Ich trage deine Schlinge, oder nicht? Odin sagt, wir sollen das alle singen.«
Als die beiden Mädchen den Gesang mit schrillen Stimmen begeistert wiederholten, kamen Groniger und ein anderer Inselbewohner herbei.
»Das klingt gut«, sagte er und sammelte die Schalen wieder ein. »Herrliches Verderben ist gut.«
»Gefällt mir«, warf der andere Mann ein. »Verderben! – tötet die Mingols!« wiederholte er anerkennend.
Leise vor sich hin singend, kehrten die Männer zu den anderen zurück.
Die Nacht wurde dunkler. Der Wind wehte stärker. Die Mädchen verstummten.
»Es ist kalt«, sagte May schließlich. »Der Gott friert bestimmt. Gale, wir sollten zu ihm gehen. Kommst du zurecht, Kusine Afreyt?«
»Ich komme zurecht.«
Kurze Zeit später schlossen sich die Vorhänge hinter den beiden. May steckte noch einmal den Kopf heraus.
»Der Gott lädt dich ein, zu uns hereinzukommen!« rief sie Afreyt zu.
Afreyt stockte der Atem. Dann sagte sie, so ruhig sie konnte: »Bitte sag dem Gott meinen Dank, aber ich möchte doch lieber hierbleiben – und wachen.«
»Wie du willst«, antwortete May, und der Vorhang schloß sich wieder.
Afreyt verschränkte unter dem Mantel die Hände. Sie hatte bisher niemandem erzählt, nicht einmal Cif, daß Odin für sie seit einiger Zeit im Schwinden begriffen war. Sie vermochte ihn nur noch als sehr schwachen Umriß wahrzunehmen. Noch hörte sie seine Stimme, aber auch sie war sehr schwach und schien im Seufzen des Windes unterzugehen. An jenem Frühlingstag, da sie und Cif den Gott gefunden hatten – und dann feststellen mußten, daß es sich um zwei Götter handelte –, war er ihr sehr real vorgekommen.
Damals schien er dem Tode ganz nahe zu sein, und sie hatte sich große Mühe gegeben, ihn zu retten. Sie war von großer Bewunderung erfüllt gewesen, als wäre er ein alter Helden-Heiliger oder ihr eigener geliebter Vater, der nicht mehr lebte. Und als er sie ungeschickt getätschelt und mit (wie es sich anhörte) enttäuschter Stimme gemurmelt hatte: »Du bist ja älter, als ich dachte«, um dann einzuschlafen, hatten sich Entsetzen und Ablehnung breitgemacht und ihre Bewunderung befleckt. Dann erst war sie auf den Gedanken gekommen, sich an
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