Schwerter und Rosen
Lösung zu sein, den letzten, und vermutlich härtesten Teil der Reise den Idealisten zu überlassen, die unter Führung des Herzogs von Schwaben immer noch an den Erfolg der Sache glaubten. Der Zug der erschöpften Kreuzfahrer hatte vor wenigen Minuten den etwa vier Meilen vor den Toren Antiochias liegenden Vorort Daphne erreicht, zwischen dessen zahlreichen Quellen bis zu zehn Meter hohe Lorbeerbäume ihre Äste gen Himmel reckten. Das dunkle Grün der ledrig glänzenden Blätter beruhigte das Auge, und in der Mitte eines im Halbkreis angepflanzten Hains erinnerten Ruinen an das einstige Apollonheiligtum, das in der Antike Pilger aus der gesamten bekannten Welt angezogen hatte. Der Sage zufolge hatte sich an dieser Stelle die Quellnymphe Daphne auf der Flucht vor dem liebestollen Gott Apoll in einen Lorbeerstrauch verwandelt, um ihre Unschuld zu schützen. Auch die legendenumwobene ägyptische Königin Kleopatra sollte einst an diesem Ort geheiratet haben.
Im Osten erhoben sich die steilen Felswände eines Gebirges, während die westliche Seite der Stadt von dem fischreichen Fluss Orontes abgegrenzt wurde. Fruchtbare Weingärten und reiche Felder erweckten den Eindruck einer beinahe erdrückenden Üppigkeit. Und obschon die Sonne erbarmungslos vom Himmel stach, sorgte eine kühle, vom Meer her fächelnde Brise für Erfrischung. Verschleierte Frauen mit Säuglingen auf dem Rücken gingen auf Äckern und in Gärten der Arbeit nach, während die Männer sich um die schweren Gerätschaften und Zugtiere kümmerten. Schmutzige und zerlumpte Kinder jagten durch die Gassen des kleinen Ortes. Wohingegen manche sich scheu verbargen, als sie die herannahenden Kreuzfahrer erblickten, kamen andere furchtlos näher und begafften die Soldaten neugierig. Vor einer schäbig wirkenden Schmiede beschlug ein Mann die Hufe einer kostbaren Stute, deren Besitzer aus der nahen Taverne geeilt kam, um die Ankömmlinge mit einem freudigen Lächeln zu begrüßen. Am fernen Ende der steil abfallenden Hauptstraße lockte das Ziel der Reisenden.
»Warum habe ich mich nur überreden lassen, mitzukommen?«, stöhnte der unter Hunger und Durst leidende Ansbert und blickte zu dem auf seinem inzwischen völlig abgemagerten Schimmelhengst reitenden Arnfried von Hilgartsberg auf, um dessen Schultern der einstmals passende Umhang flatterte. Sein eigenes Reittier – der treue Wallach, der ihm stets gute Dienste geleistet hatte – war, nachdem er sich beim Abstieg aus dem Gebirge den Vorderlauf gebrochen hatte, in den Mägen der ausgehungerten Kreuzfahrer verschwunden. Und der Mönch hatte sich nach einem bescheideneren Transportmittel umsehen müssen. »Es sind nur noch ein paar hundert Fuß«, ermutigte ihn der bayerische Ritter und wies auf die in der Hitze flimmernden Stadtmauern der Hauptstadt des Fürstentums Antiochia. »Nur noch ein paar hundert Fuß.« Er verstummte und eine Zeit lang ritten die beiden schweigend nebeneinander – Arnfried auf seinem geschwächten Schlachtross, Ansbert auf einem struppigen, kleinen Eselchen, das er in Tarsus erstanden hatte.
Als sie die mächtigen Stadttore durchschritten, schlug ihnen trotz des erbärmlichen Zustandes, in dem sie sich befanden, euphorischer Jubel entgegen. Die Einwohner hatten sich in den Straßen versammelt und boten den Vorbeireitenden oder auf Stöcke gestützt Humpelnden Wasser und saftige Melonen an, die sie freigiebig verteilten. Viele der Männer waren so geschwächt, dass sie sich erschöpft in die Schatten fallen ließen, um Kraft zu schöpfen oder sich an den Erfrischungen zu laben, die ihnen die Männer und Frauen Antiochias unter neugierigem Geschnatter reichten. Da die Armee inzwischen nur noch etwa viertausend Mann umfasste, hatte der Herr der Stadt befohlen, Unterkünfte für die leidgeprüften Kreuzritter freizumachen, in denen sie sich einige Tage erholen konnten, bevor sie den durch feindliches Gebiet führenden Weg nach Akkon einschlugen, um sich der stagnierenden Belagerung anzuschließen. Da auch den Sultan Salah ad-Din beinahe täglich Verstärkung von seinen endlich aus ihrer Trägheit erwachten Glaubensbrüdern erreichte, wurden die Deutschen Truppen schon mit Sehnsucht erwartet. »Ich werde die nächsten vierundzwanzig Stunden schlafen«, murmelte Ansbert, als er sich nach erfolgter Einquartierung von Arnfried verabschiedete. Da der Chronist von weniger hoher Stellung war als der bayerische Ritter, musste er mit einem Strohlager über einem der vielen Ställe der
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