Schwerter und Rosen
der Pforte in den Hof geeilt, um Curd von Stauffen zu öffnen. Aber wie erstaunt war sie gewesen, als sie anstelle des erwarteten Tempelritters ein halbes Dutzend Bewaffneter in den Farben des Sultans angestarrt hatten. »Das ist sie«, hatte der Vorderste bemerkt und zwei hinter ihm Stehenden ein Zeichen gegeben, das Mädchen zu ergreifen. Und wenngleich Rahel sich heftig gewehrt hatte, hatte sie gegen die Wächter nichts ausrichten können und sich schließlich zu dem außerhalb der Zitadelle gelegenen, stark befestigten Harem Salah ad-Dins führen lassen.
Kaum hatte sie die kühle, von einem prächtigen Brunnen geschmückte Eingangshalle betreten, als auch schon ein bartloser Jüngling herbeigeeilt war und ihr einen hauchdünnen Schleier aufgezwungen hatte, den sie sich jetzt – allein in dem kahlen Gemach – angewidert vom Gesicht riss. Außer einem breiten Diwan und einigen am Boden verteilten Kissen war der ganz in Brauntönen gehaltene Raum vollkommen leer. Nicht einmal ein Wandbehang schmückte die kahlen Steinquader, die auf Hüfthöhe in einfache weiße Fliesen übergingen. Vor den kleinen Fenstern, welche die Form einer Knospe nachahmten, waren schwere Eisengitter angebracht, durch die das Mädchen nicht einmal bis auf den vor ihrer Kammer verlaufenden Weg blicken konnte. Eine kleine Tür in der östlichen Wand schien in einen weiteren Raum zu führen, doch als Rahel an dem bronzenen Türknauf zog, bewegten sich die Scharniere keinen Zoll. Resigniert ließ sie sich auf den harten Diwan sinken und starrte auf ihre in leichten Pantoffeln steckenden Zehen hinab. Warum hatte die Prinzessin sie entführen lassen?, fragte sie sich verzweifelt. Glaubte sie etwa, dadurch Gold aus Nathan herauspressen zu können?
Sie lachte freudlos. Wenn Shahzadi wirklich annahm, mit ihrer Entführung Druck auf ihren Ziehvater ausüben zu können, dann musste Rahel um ihr Leben bangen. Denn wenn seine Karawanen nicht innerhalb der nächsten Wochen eintrafen, dann konnte nichts und niemand ihren oder seinen Kopf retten! Mit einem leisen Stöhnen fuhr sie sich durch das geflochtene Haar und überlegte fieberhaft. Das Geräusch eines ins Schloss fahrenden Schlüssels ließ sie aufschrecken. Aber die Hoffnung, die sich warm in ihrer Brust ausbreiten wollte, verwelkte beim Anblick des Wächters, der wortlos ein Tablett auf den Boden stellte, bevor er die Tür wieder hinter sich verriegelte. Der betörende Duft von Zimt und Ingwer erfüllte den kahlen Raum. Als Rahel sich nach wenigen Augenblicken des Zögerns dazu durchrang, dem nagenden Hungergefühl nachzugeben, erblickte sie mit Rosenkonfitüre gefüllte Blini , gesüßte Teigfladen, die auf einem Bett von mit Zimt bestäubten Orangenscheiben lagen. Daneben lockte eine kleine Kanne Ingwertee, und wenngleich das Mädchen zuerst gefürchtet hatte, die Speisen könnten vergiftet sein, griff es dennoch zu. Was taugte schließlich eine tote Geisel!?
Vor den Toren Messinas, September 1190
»Ich hoffe, die Angelegenheit mit den Sizilianern lässt sich zu Eurer Zufriedenheit regeln, Herr«, sprach Richard of Devizes das Thema an, das Löwenherz seit ihrer Ankunft auf Sizilien verdrängt zu haben schien. Die blauen Augen des achtzehnjährigen Zisterziensers lagen mit einer Mischung aus Sorge und Vernarrtheit auf dem breiten Rücken des englischen Königs, der noch die volle Rüstung trug. Nur mit einer blauen Cotte bekleidet hatte der junge Mann in dem prächtigen Pavillon im Schneidersitz auf dem Bett gesessen, bevor Löwenherz wie ein wütender Stier hereingestürmt war. Die Finger des jungen Mönches kneteten nervös den rotseidenen Gürtel, der sein Gewand zusammenhielt, aber als er den missfälligen Blick auffing, ließ er das schimmernde Gewebe fahren und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Da er den fürchterlichen Jähzorn des Hünen inzwischen oft genug hatte aufflammen sehen, wusste der Chronist, dass es in einer solchen Situation besser war, nicht in die Rolle des Liebhabers zu schlüpfen, sondern so viel Distanz wie möglich zwischen sich und dem König zu wahren. Deshalb war er – sobald Richards zornesrotes Gesicht im Eingang erschienen war – hastig aufgesprungen und hatte sich tief vor dem Löwen verneigt.
Nachdem dieser Ende Juli erbost über seine eigene Flotte Marseille verlassen hatte und zum Großteil über Land nach Sizilien gereist war, hatte der König ein Lager vor den Mauern Messinas errichten lassen und – um Vorkommnisse wie die aus
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