Schwerter und Rosen
auf den Lippen betrat. Harold, der auf dem klumpigen Lammfell in dem kleinen Vorzelt eingedöst war, fuhr auf, als ihn ein harter Tritt in die Rippen traf, dem augenblicklich ein zweiter folgte. »Schaff mir Wein her!«, blaffte de Mandeville den Knaben an, der sich hastig eine Cotte überwarf und ungeschickt auf die Beine kam, und warf ihm eine Handvoll Silber vor die Füße. »Reichlich!« Um dem Risiko weiterer Schläge zu entfliehen, schlüpfte Harold hastig in die leichten Schuhe, die er an seinem Kopfende platzierte hatte, und stob – noch im Halbschlaf – in Richtung Vorratszelt davon, um das Gewünschte herbeizuschaffen. Als er sich endlich durch die scheinbar endlose Reihe der Wartenden gekämpft hatte, riss er dem nur mit einer ledernen Schürze bekleideten Bewacher der Alkoholvorräte den randvollen Krug aus der Hand, zählte ihm zwei Silberpfennige in die schwielige Handfläche und eilte – peinlich darauf bedacht, keinen Tropfen des schweren Burgunders zu verschütten – zum Lagerplatz zurück. Dort angekommen trat er schüchtern ins Innere und füllte zwei der sündhaft teuren Gläser, von denen er eines seinem Dienstherrn, das andere dem inzwischen ebenfalls anwesenden John of Littlebourne reichte. »Scher dich raus!«, fuhr ihn Essex mit einem harten Ausdruck in den vor Wut funkelnden Augen an.
Als der Knabe sich mit niedergeschlagenem Blick getrollt hatte, stürzte Essex das erste Glas auf einen Zug die brennende Kehle hinab, bevor er mit der gepanzerten Stiefelspitze gegen das Bein des Schemels trat, auf dem sein Ritter Platz genommen hatte. Mit fahriger Hand füllte er das Trinkgefäß erneut und blickte mit zusammengepressten Kiefern einige Augenblicke in die blutrote Flüssigkeit. »Warum schafft Ihr ihn nicht einfach aus dem Weg, Mylord?«, fragte John of Littlebourne verständnislos, als Essex ihm – immer noch vor Zorn kochend – den Grund für seine furchtbare Laune an den Kopf warf. »Ach, was seid Ihr doch für ein Schwachkopf!«, brauste sein Herr auf und pfefferte seinen Umhang in eine Ecke, wo er eine kleine Wolke Staub und Schmutz aufwirbelte. »Inzwischen hat doch jeder im Lager mitbekommen, dass ich nicht gut auf ihn zu sprechen bin«, fauchte er, nachdem er Littlebourne grob zur Seite gestoßen hatte, um seinen Schwertgürtel über den Schemel zu legen, auf dem dieser bis eben gesessen hatte. Mit stoischer Ruhe verfolgte der vierschrötige Mann das unruhige Hin und Her seines Herrn, bis dieser sich schließlich schwer atmend an einen der Zeltpfosten lehnte und grimmig erklärte: »Da würde es gewiss nicht lange dauern, bis man den Schuldigen gefunden hätte.«
Littlebourne nickte langsam. Das leuchtete ihm ein. Auf Anhieb fielen ihm mindestens zwei Dutzend Männer ein, die in den vergangenen Wochen Zeugen der hässlichen Wortgefechte geworden waren, die Essex und Derby geführt hatten. Wenn der kampferprobte Earl, der zu allem Überfluss noch ein Vertrauter des Königs war, auf einmal einer tödlichen Auseinandersetzung zum Opfer fallen sollte, dann würden mit Sicherheit unangenehme Fragen gestellt werden. »Und für diesen sturen, alten Ziegenbock werde ich sicher nicht am Galgen baumeln!«, setzte de Mandeville verächtlich hinzu. Er hatte auch das zweite Glas Wein geleert und schenkte sich ein weiteres Mal nach – fest dazu entschlossen, die Erinnerung an die Unterhaltung mit Derby im Rausch zu ertränken. »Könnte man es nicht wie bei Arundel nach einem Unfall aussehen lassen?«, warf Littlebourne nach einigen Minuten des Schweigens ein, in denen außer den Geräuschen im Lager nur das heftige Atmen seines Herrn zu hören war. Verdrießlich fuhr Essex sich mit der Linken über die von der Narbe an seinem Kinn geteilten Bartstoppeln, während er über diesen Vorschlag nachsann. »Es bieten sich sicher genug Gelegenheiten, bis wir Jerusalem erreichen«, setzte der Ritter hinzu.
Antiochia, Juli 1190
Ansbert konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Anstatt sich zu verbessern, hatte sich die Lage der Deutschen in den vergangenen drei Wochen noch verschlechtert. Kaum waren Herz und Eingeweide des verstorbenen Kaisers in Tarsus beigesetzt worden, hatte es der Löwenanteil des Heeres den reichen Bischöfen und Baronen gleichgetan und sich auf den an der Küste bereitstehenden Galeeren eingeschifft, um die Heimfahrt anzutreten. Da den meisten inzwischen auch die kläglichen Überreste ihrer finanziellen Mittel ausgegangen waren, schien es die vernünftigste
Weitere Kostenlose Bücher