Schwerter und Rosen
Plage gewordenen Ratten, die sich von Tag zu Tag zu vermehren schienen.
Indessen, da nahe am Ufer die entweder den Seuchen oder dem Feind zum Opfer gefallenen Männer verbrannt wurden, sorgten Grabungstrupps an mehreren strategisch gewählten Stellen dafür, dass Brunnenschächte in das nur wenige Dutzend Fuß unter der Oberfläche gelegene Grundwasser getrieben wurden. Denn obgleich es den Kreuzfahrern immer wieder gelang, Breschen in die Sandsackblockaden Salah ad-Dins zu schlagen, stopften die Belagerer der Belagerer diese Lücken doch jedes Mal so schnell, dass nur wenig des kostbaren Flusswassers den Weg hinter die feindlichen Linien fand. Viele der Männer litten immer noch unter starken Durchfällen und Erbrechen. Und da trotz der verstreut eintreffenden Verstärkung der Proviant langsam knapp wurde, hatten viele der hungrigen Kreuzfahrer den Fehler begangen, von den verlockend saftigen Orangen und Datteln zu kosten, die zuhauf vorhanden waren. Was – so wusste Guy aus eigener, schmerzhafter Erfahrung – dem Verdauungstrakt der Europäer keineswegs zuträglich war.
Verdrießlich trat er gegen einen halb im Uferschlamm der Flussmündung vergrabenen Helm, dessen Besitzer vermutlich soeben in Rauch aufging. Einige Schritte weiter traf die Sohle seines gepanzerten Stiefels auf den knirschend nachgebenden Knochen eines Gefallenen, den Guy wenig respektvoll zur Seite schob, um den darunter aufblitzenden Ring an sich zu nehmen. Zu seiner Rechten erbrach sich ein ausgemergelter Fußsoldat in einen übervollen Eimer, den schon lange niemand mehr geleert hatte, während nahe des Ufers einige Verzweifelte versuchten, ihr Fieber in dem immer zäher werdenden Schlamm des Flussbettes zu kühlen. Wann endlich würden die Reste des deutschen Heeres eintreffen?, fragte er sich bitter. Und wann würde sich die Neuigkeit vom Aufbruch Richard Löwenherz’ und Philipps von Frankreich bestätigen? Sollten diese beiden wirklich endlich ihr Versprechen wahr gemacht und eine Armee aufgestellt haben, dann waren die Tage des Feindes gezählt. Aber wenn es sich dabei wie schon so oft um Gerüchte handelte und die eifrigen Pilger nach wie vor verstreut und schlecht ausgerüstet im Heiligen Land ankämen, dann würde am Ende Salah ad-Din das Feld als Sieger verlassen. Mürrisch beendete er seinen Rundgang und kehrte zum Ausgangspunkt zurück, wo er sich erschöpft in den Schatten seines Zeltes zurückzog.
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Auf der anderen Seite der Barrikade, im Lager der Sarazenen, erhob sich der Sultan von seinem Diwan, um sich die öligen Hände zu waschen. Zwischen ihm und seinem Besucher, der respektvoll auf einem Schemel Platz genommen hatte, türmten sich auf einem flachen Tisch die Überreste eines üppigen Mahls, dessen Reste die eingeschlossenen Kreuzfahrer tagelang gesättigt hätten. Während sich draußen langsam die Dämmerung über die Landschaft senkte, kam auch der Prinz auf die Beine, um sich von seinem Gastgeber zu verabschieden. »Du musst bei Sonnenaufgang aufbrechen«, stellte Salah ad-Din fest. Dringende Kunde aus Kairo machte es erforderlich, dass al-Adil so bald wie möglich nach Ägypten zurückkehrte, um dort nach dem Rechten zu sehen. Denn nur zu gut wussten beide, wie schnell die Abwesenheit des Herrschers von einem machthungrigen Wesir ausgenutzt werden konnte, um die Kontrolle an sich zu reißen. Der Angesprochene nickte und folgte dem Sultan vor den Pavillon, wo dieser sich müde in einen der Feldhocker fallen ließ, die dort in Reih und Glied standen. Während Salah ad-Din den Blick über das von Fackeln und Feuern erleuchtete Lager streifen ließ, griff sein Bruder mehr gierig als hungrig nach einer der Feigen, an denen dank des ständigen Nachschubs an Köstlichkeiten kein Mangel herrschte. Überall in Salah ad-Dins Nähe schienen sich die saftigen Früchte auf Tellern oder in Schalen zu stapeln, und ganz gleich wo sich der Herrscher gerade aufhielt, sorgten seine Sklaven dafür, dass seine Lieblingsspeise verfügbar war. Herzhaft biss der hochgewachsene Adil in die mit Honig überträufelte Frucht und leckte sich die klebrigen Finger.
»Ich habe noch mal über das nachgedacht, was du über den Tempelritter gesagt hast«, hub er mit einem Seitenblick auf das scharfe Profil des Sultans an. Während seines Aufenthalts im Feldlager von Akkon hatte er den Gedanken immer wieder verdrängen können, doch jetzt, da der Aufbruch nahe war, zwang sich die Erinnerung mit beinahe schmerzhafter Dringlichkeit zurück
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