Schwester der Finsternis - 11
kratzte sich seine Bartstoppeln, während er sich ihre Worte durch den Kopf gehen ließ. Angesichts der Tatsache, dass beide Magie bewirken konnten, fiel ihm kein Unterschied ein, der in praktischer Hinsicht von Bedeutung war.
»Kann er etwas tun, zu was ein Zauberer nicht fähig wäre?« Er wartete. Sie machte nicht den Eindruck, als ob sie über seine Frage nachdachte, eher schien sie zu überlegen, ob sie überhaupt antworten wollte. »Bei meiner Gefangennahme hast du versprochen, du würdest mir die Wahrheit sagen. Du sagtest, du hättest keinen Grund, mich zu täuschen.«
Sie sah ihm in die Augen, aber dann strich sie sich das blonde Haar aus dem Gesicht und wandte schließlich ihren Blick ab. Die Geste erinnerte ihn auf unerwartete und schmerzliche Weise an Kahlan.
»Mag sein. Ich könnte mir denken, dass er gelernt hat, wie man den Bann nachbildet, der einst den Palast der Propheten umgab. Um diesen Bann zu erzeugen, waren vor tausenden von Jahren Zauberer erforderlich, die über beide Seiten der Magie verfügten. Ich glaube, ein Punkt, in dem Hexenmeister anders sind, hat damit zu tun, dass sich ihre Kraft nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegen lässt, wie dies bei Zauberern möglich ist. Obwohl seine Magie anders funktioniert, könnte er also dennoch genug darüber in Erfahrung gebracht haben, wie die Zauberer – die damals, genau wie du, über beide Seiten der Magie verfügten – den Bann rings um den Palast der Propheten erzeugt haben, um ihn auf ganz eigene Weise nachbilden zu können.«
»Du meinst den Bann, der den Alterungsprozess verlangsamt? Du glaubst, er ist im Stande, ein solches Netz zu werfen?«
»Ja. Jagang hat es mir gegenüber praktisch durchblicken lassen. Ich kannte Bruder Narev, als ich noch ein kleines Mädchen war. Schon damals war er ein erwachsener Mann, ein Visionär, der die Lehren des Ordens predigte. Nachdenklich sprach er davon, er wolle lange genug leben, um mitzuerleben, wie seine Vision des Ordens in Erfüllung geht. Als man mich abholte, um im Palast in Tanimura zu leben, könnte ihn das möglicherweise auf die Idee gebracht haben, denn kurz darauf zog es auch ihn dorthin.
Die Schwestern wussten nichts über ihn, sie hielten ihn für einen einfachen Arbeiter. Da sich seine Gabe von der eines Zauberers unterscheidet, haben sie sein Talent nicht erkannt. Jetzt glaube ich, dass er aus dem alleinigen Grund dorthin gegangen ist, den Bann rings um den Palast der Propheten zu studieren, um einen ebensolchen Bann zu seinem eigenen Nutzen neu zu erschaffen.«
»Warum hat er den Palast nicht einfach gestürmt, ihn erobert? Dann hätte er den Bann doch für seine Pläne nutzen können?«
»Möglicherweise glaubte er anfangs, er würde den Palast eines Tages für seine Zwecke erobern – tatsächlich war das genau der Plan Kaiser Jagangs. Ebenso gut ist es aber auch möglich, dass er den Bann von Anfang an nur deswegen studierte, weil er ihn nicht einfach nur wiedererschaffen, sondern sogar verbessern wollte.«
Richard rieb sich die Stirn, um seine Kopfschmerzen zu vertreiben. »Soll das heißen, dass er jetzt möglicherweise glaubt, den Ruhesitz – den neuen Palast des Kaisers – mit dem gleichen Bann wie damals den Palast der Propheten belegen zu können, nur eben in einer besseren Version, sodass der Alterungsprozess weiter verlangsamt wird und er und seine Auserwählten noch länger leben können?«
»Ja. Vergiss nicht, Alter ist relativ. Für jemanden, der eintausend Jahre alt werden kann, wäre eine Lebenszeit von weniger als hundert Jahren viel zu kurz bemessen. Wer allerdings viele tausend Jahre alt werden kann, für den ist eine Lebensspanne von gerade mal einem Jahrtausend wenig mehr als ein flüchtiger Augenblick.
Ich vermute, Bruder Narev ist es gelungen, den Alterungsprozess so weit zu verlangsamen, dass er nahezu unsterblich ist. Jagang hatte geplant, den Palast der Propheten zu erobern. Möglicherweise hätte Bruder Narev nach der Eroberung des Palastes den Bann dann seinen Zwecken entsprechend verstärkt.«
»Aber diesen Plan habe ich durchkreuzt.«
Nicci nickte. »Wie wir alle, die einst im Palast der Propheten gelebt haben, altert Bruder Narev zurzeit wie jeder andere auch. Hat man den Einflussbereich des Banns einmal verlassen, hat man das Gefühl, Hals über Kopf auf sein Grab zuzustürzen. Bruder Narev ist zweifellos bestrebt, sich alle Jugendlichkeit, die noch in ihm steckt, zu bewahren. Auf ewig verhältnismäßig jung zu bleiben, das hat
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