Schwester der Finsternis - 11
er ihr angetan hatte. Nichts schmerzte Richard mehr, als Kahlan wehzutun.
Gadi hasste Richard. Dadurch, dass er Nicci nahm, glaubte er sich an Richard zu rächen und selbst wieder der Größte zu werden. So sehr es ihn nach ihr verlangte, sein Bedürfnis, es Richard heimzuzahlen, war stärker. Richard hatte Gadis Reich erobert und zu seinem eigenen gemacht.
Nicci war nur zu froh, dem kleinen Drangsalierer wieder zu seiner alten Macht zu verhelfen. Sie wusste, jeder aufrichtige Schrei, den Richard hörte, würde ihn daran erinnern, dass Kahlan denselben Schmerz erlitt.
Als Gadi dann aber in wilder Hemmungslosigkeit über sie herfiel, versuchte sie sich einzureden, es sei Richard, versuchte sie, Richard zu bekommen, und sei es mittels eines Stellvertreters. Aber sie konnte sich nicht überwinden, daran zu glauben, nicht einmal um der Wonnen willen, die ihr eine solche Fantasie bereitete. Nicht eine einzige Sekunde konnte sie so tun, als sei es Richard.
Schlimmer noch, Nicci dämmerte, dass Richard mit seinen Worten nicht etwa Kahlan diese Schmerzen hatte ersparen wollen, sondern ihr, Nicci. So sehr er sie auch hassen musste, Richard hatte sich um sie besorgt gezeigt. So sehr er sie hassen musste, er hatte nicht mitansehen wollen, wie sie litt.
Keine andere Bemerkung Richards hätte ihr mehr zu Herzen gehen können. Eine größere Grausamkeit als diese Freundlichkeit hätte er ihr nicht antun können.
Ihre Strafe folgte mit den Schmerzen danach. Nicci schämte sich so sehr über ihre Tat, dass sie Richard gegenüber vortäuschte, sie habe bei diesem Zwischenfall nicht gelitten. Sie wollte ihm die quälende Gewissheit ersparen, dass Kahlan mit ihr litt. Am nächsten Morgen gestand sie Richard, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie erwartete nicht, dass er ihr verzieh; er sollte nur wissen, dass sie sich über ihren Fehltritt im Klaren war und er ihr Leid tat.
Richard erwiderte nichts; er betrachtete sie nur aus seinen grauen Augen, während er ihr, kurz bevor er zur Arbeit ging, zuhörte.
Sie blutete drei Tage lang.
Gadi hatte vor seinen Freunden damit geprahlt, dass er sie gehabt hatte. Um ihre Demütigung noch zu verschlimmern, hatte er sämtliche Einzelheiten ausgeplaudert. Zu Gadis Überraschung waren Kamil und Nabbi außer sich vor Wut über ihn gewesen. Sie waren fest entschlossen, ihm heißes Wachs in die Augen zu träufeln und ihm noch so manch anderes anzutun – was, wusste Nicci nicht genau, aber sie konnte es sich vorstellen. Die Drohung war so todernst gewesen, dass Gadi noch am selben Tag die Flucht ergriffen hatte und in die Armee der Imperialen Ordnung eingetreten war. Er war gerade noch rechtzeitig Soldat geworden, um mit einem frischen Trupp nach Norden in den Krieg zu ziehen. An jenem Tag hatte Gadi sich über Kamil und Nabbi mit der Bemerkung lustig gemacht, er ziehe jetzt in den Krieg, um ein Held zu werden.
Nicci hörte Schritte den Flur entlangkommen. Lächelnd nahm sie drei Eier aus dem Küchenschrank. Statt, wie erwartet, Richard die Tür öffnen zu sehen, hörte sie jemanden anklopfen.
Nicci trat in die Zimmermitte. »Wer ist da?«
»Ich bin es, Nicci, Kamil.«
Der eindringliche Tonfall seiner Stimme bewirkte, dass sich ihre feinen Härchen auf den Armen sträubten.
»Ich bin angezogen. Komm herein.«
Völlig außer Atem platzte der junge Mann zur Tür herein.
Sein Gesicht war genauso kreidebleich wie seine Knöchel auf dem Türgriff; seine Wangen waren tränenverschmiert.
»Richard ist verhaftet worden. Gestern Abend. Sie haben ihn eingesperrt.«
Nicci gewahrte nur am Rande, wie die Eier zu Boden fielen.
55. Kapitel
Mit Kamil an ihrer Seite stieg Nicci das Dutzend Stufen zur Kaserne der Stadtwache hinauf. Es war eine mächtige Festung, deren hohe Mauern sich den gesamten Block entlang erstreckten. Nicci hatte Kamil nicht bitten müssen, sie zu begleiten; sie bezweifelte, dass etwas Geringeres als der Tod ihn davon hätte abhalten können. Sie vermochte wirklich nicht genau zu enträtseln, wie es Richard gelang, Menschen zu derartigen Reaktionen zu veranlassen.
Bei ihrem Aufbruch hatte sich Nicci in einem Zustand schockierter Aufgebrachtheit befunden, trotzdem war ihr nicht entgangen, dass die Menschen im ganzen Haus angespannt und auf der Hut zu sein schienen. Starre Gesichter in den Fenstern hatten ihnen nachgeschaut, als sie und Kamil aus dem Haus und die Straße hinuntergestürzt waren. Alle hatten hart und finster ausgesehen.
Was war es nur, das die Menschen dazu
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