Schwester der Finsternis - 11
kann die Welt sie haben, aber solange ich noch an ihr arbeite, soll sie allein mein Wunschbild sein. Ich möchte, dass niemand sie zu Gesicht bekommt, bevor sie fertig ist.
Vor allem aber möchte ich nicht, dass du sie siehst, denn ich will dich für den Fall, dass etwas schief geht, nicht mit hineinziehen. Du sollst nicht wissen, was ich tue.
Wenn du sie nicht siehst, kann man dich dafür, dass du es ihnen nicht verrätst, nicht im Himmel begraben.«
Victor gab sich achselzuckend geschlagen. »Wenn das dein ausdrücklicher Wunsch ist, dann soll es so geschehen. Ich werde meinen Leuten erklären, dass der hintere Werkstattraum vermietet ist und niemand dort Zutritt hat. Außerdem werde ich ein Schloss an der Innentür anbringen und eine Kette vor die äußere Doppeltür hier legen und dir den Schlüssel geben.«
»Danke. Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet.«
»Wann brauchst du die Meißel?«
»Zuerst benötige ich den schweren Meißel, um die groben Umrisse herauszuarbeiten. Könntest du ihn bis heute Abend fertig haben? Ich habe nicht viel Zeit.«
Victor tat Richards Sorge mit einer Handbewegung ab. »Der schwere Meißel ist kein Problem, den kann ich kurzfristig herstellen. Er wird fertig sein, wenn du von deiner Arbeit dort unten zurückkommst – von deiner Arbeit an der Hässlichkeit. Die anderen Meißel, mit denen du die Schönheit schaffen wirst, werden lange fertig sein, bevor du sie brauchst.«
»Danke, Victor.«
»Was soll dieses Danke-schön-Gerede? Das ist ein Geschäft. Du hast mich im Voraus bezahlt – Ware gegen Geld, unter ehrlichen Männern. Ich kann dir gar nicht sagen, wie gut es tut, einen Kunden zu haben, der nicht dem Orden angehört.«
Victor kratzte sich am Kopf und wurde ernster. »Sie werden dein Werk sehen wollen, Richard, meinst du nicht? Sie werden sehen wollen, wie du mit ihrer Statue vorankommst.«
»Nein, glaube ich nicht. Sie vertrauen auf meine Arbeit. Außerdem haben sie mir ein Modell gegeben, das sie maßstabgerecht vergrößert haben wollen und das bereits genehmigt ist. Man hat mir erklärt, dass mein Leben davon abhängt. Neal war geradezu entzückt, als er mir erzählte, wie er den Befehl gab, die anderen Bildhauer zu foltern und hinzurichten. Er wollte mir Angst machen. Ich bezweifle, dass sie noch einen weiteren Gedanken daran verschwenden werden.«
»Aber was ist, wenn doch ein Ordensbruder erscheint und sie sehen will?«
»Dann werde ich ihm einen Eisenbarren um den Hals wickeln und ihn in einem Fass mit Salzlake einlegen müssen.«
60. Kapitel
Richard hielt sich das Stecheisen der Länge nach an die Stirn, wie er es schon so oft mit dem Schwert der Wahrheit getan hatte. Dies war nicht weniger ein Kampf; auch hier ging es um Leben oder Tod.
Leise sprach er: »Sei mir an diesem Tag treu, Klinge.«
Der Meißel war achtkantig, um einer verschwitzten Hand genügend Halt zu bieten. Victor hatte ihn mit einer zweckmäßig schweren, stumpfen Spitze versehen und darüber hinaus auf einer der Seiten in winzigen Buchstaben seine Initialen – V C – eingestanzt.
Mit einem solchen schweren Meißel konnte man Gestein zertrümmern und in kurzer Zeit eine große Menge überschüssiges Material entfernen, es war ein Werkzeug, das großen Schaden anzurichten und drei Finger tief in das Gefüge des Marmors einzudringen vermochte. Setzte man einen solchen Meißel gedankenlos an einem unbemerkt gebliebenen Fehler im Gestein an, konnte man damit den gesamten Block zerstören.
Feinere Spitzen erzeugten weniger tiefe Brüche, trugen allerdings auch weniger Material ab. Richard war sich darüber im Klaren, dass er sich selbst mit den feinsten Stecheisen nur bis auf eine halbe Fingerbreite der endgültigen Oberfläche nähern konnte. Das spinnwebartige Netz aus feinen Rissen, das ein Meißel hinterließ, bestand aus Brüchen in der kristallinen Struktur des Marmors selbst. Diese Beschädigungen nahmen dem Stein sowohl seine Transparenz als auch seine Fähigkeit, sich auf Hochglanz polieren zu lassen.
Um den nackten Körper in Stein wiedergeben zu können, musste man sich den endgültigen Oberflächen, die von keinem Werkzeug beschädigt werden durften, mit äußerster Behutsamkeit nähern.
Sobald er mit dem schweren Meißel einen Großteil des Überschusses abgetragen hatte, wollte Richard sich mit feineren Meißeln der eigentlichen Form weiter annähern und sie feiner herausarbeiten können. Hatte er sich dann der endgültigen Oberfläche bis auf eine halbe
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