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Schwester der Finsternis - 11

Schwester der Finsternis - 11

Titel: Schwester der Finsternis - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Goodkind
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Fingerbreite genähert, würde er zu Kammeisen übergehen – Meißeln, die einfach Kerben in ihrer Schneide aufwiesen –, um damit das Gestein abzuschlagen, ohne die Struktur des darunter liegenden Marmors zu zerstören. Die derben Kerben entfernten den größten Teil des Steins und hinterließen dabei grobe Rillen. Anschließend würde er zur Verfeinerung des Werkes zu immer feineren Meißeln übergehen und ganz zum Schluss glattkantige Meißel einsetzen, von denen manche gerade mal halb so breit wie sein kleiner Finger waren.
    Unten auf der Baustelle, wo er Szenen für den Fries meißelte, war die Arbeit der Bildhauer in diesem Stadium beendet. Zurück blieb eine unansehnliche, plumpe und derbe Oberfläche, die die nackte Haut leblos erscheinen ließ und nicht im Stande war, Muskeln und Körperbau Genauigkeit und Feinheit zu verleihen; die in den Werken dargestellten Menschen waren aller Menschlichkeit beraubt.
    Bei dieser Statue dagegen würde Richard erst dort richtig beginnen, wo die Werke für den Orden endeten. Er würde Raspeln benutzen, um Knochen, Muskeln und sogar die Adern der Unterarme herauszuarbeiten. Mit Hilfe von feinen Feilen würde er die von den Raspeln hinterlassenen Spuren entfernen und äußerst feine Konturen herausarbeiten. Der Bimsstein wiederum würde die Feilenspuren entfernen und die Oberfläche für das Polieren mit auf Leder, Tuch und schließlich Stroh aufgetragener Bimssteinpaste vorbereiten.
    Wenn er alles richtig machte, würde er seine Vision in Stein gehauen erhalten. Nacktes Fleisch, wiedergegeben in Stein. Würde.
    Den schweren Spitzmeißel mit dem Daumen in die Handfläche drückend, berührte Richard den Stein mit der Hand und fühlte seine kühle Oberfläche. Er wusste, was sich im Inneren befand – nicht nur im Inneren des Steins, sondern auch in seinem eigenen.
    Er empfand keinerlei Zweifel, nur von Herzklopfen unterlegte leidenschaftliche Erwartung.
    Wie so oft musste Richard auch jetzt an Kahlan denken. Fast ein Jahr war es her, dass er in ihre grünen Augen geblickt, ihre Wange gestreift, sie in den Armen gehalten hatte. Längst würde sie die Sicherheit ihres Zuhauses gegen Gefahren eingetauscht haben, die er sich nur allzu lebhaft vorstellen konnte. Einen kurzen Augenblick überwältigte ihn die Last der Verzweiflung, schnürte die Traurigkeit darüber, wie sehr er sie vermisste, ihm die Kehle zu, demütigte ihn seine Liebe zu ihr. Jetzt wurde ihm klar, dass er sie aus seinen Gedanken verbannen musste, um sich voll und ganz der Aufgabe widmen zu können, die er sich vorgenommen hatte.
    Wie so oft wünschte er Kahlan im Stillen eine gute Nacht.
    Dann setzte er die Meißelspitze in einem Winkel von neunzig Grad auf die Oberfläche des Steins und führte mit dem stählernen Hammer einen mächtigen Schlag aus. Steinsplitter flogen explosionsartig davon.
    Seine Atemzüge wurden tiefer und gingen schneller. Der Anfang war gemacht.
    Richard machte sich mit großer Heftigkeit über den Stein her.
    Im Schein der Lampen, die Victor ihm nach Beendigung des Tagewerks dagelassen hatte, verlor Richard sich in der Arbeit und ließ einen Hammerschlag nach dem anderen niedersausen. Spitze Gesteinssplitter prasselten von den Holzwänden ab und stachen, wenn sie ihn an Armen oder Brust trafen. Das deutliche Bild dessen vor Augen, was er schaffen wollte, brach er das überflüssige Gestein fort.
    Seine Ohren klangen vom Geräusch von Stahl auf Stahl und Stahl auf Stein; es war wie Musik. Scharfkantige Splitter und Gesteinsbrocken fielen zu Boden, sie waren der gefallene Feind; die Luft war gesättigt vom weißen Staub des Kampfgeschehens.
    Richard wusste ganz genau, was er erreichen wollte. Er wusste, was er dafür tun musste und wie er dabei vorzugehen hatte. Er war erfüllt von der Klarheit seines Zieles und von dem Weg, dem es zu folgen galt. Jetzt, da der Anfang gemacht war, ging er vollkommen in seiner Arbeit auf.
    Staubwolken wallten um ihn herum, bis seine dunkle Kleidung weiß aussah, so als nähme der Stein ihn in sich auf, als verwandelte er sich mit ihm, bis sie zu einer Einheit wurden. Scharfe Bruchstücke ritzten im Davonfliegen seine Haut. Seine entblößten Arme, weiß wie der Marmor selbst, wiesen von diesem Kampf bald an mehreren Stellen blutig rote Striemen auf.
    Von Zeit zu Zeit öffnete er die Tür, um das knöcheltiefe Geröll hinauszuschaufeln; mit einem Geräusch wie von tausend winzigen Glöckchen glitt der Schutt wie eine Lawine den Hang hinunter. Der weiße

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