Schwester der Finsternis - 11
Darstellungen der Verdorbenheit der menschlichen Natur, geführte Besichtigungen zu sämtlichen Schwächen des Menschen anbieten und sie dadurch in die Pflicht nehmen würde, das bereits mit Waffengewalt konfiszierte Geld auszuhändigen – einer Gewalt, deren sie sich mit moralischer Billigung der Ordensbrüder durch die Bruderschaft der Imperialen Ordnung bedienten. Diesen kleinen Beamten gestand man für ihre Verdienste um den Orden ein Stück vom Kuchen zu, zweifellos aber beabsichtigten die Brüder ihnen, notfalls mit Gewalt, alle weiterführenden Ideen auszutreiben.
Unter der Führung der Brüder herrschte das Ordenskollektiv – jeder andere alleinige Herrscher auch – letzten Endes ausschließlich über die Unterwürfigkeit der Menschen, die entweder mittels moralischer Einschüchterung oder Androhung körperlicher Gewalt oder beidem kontrolliert wurden. Tyrannei verlangte, dass man sich unablässig um sie kümmerte, damit die Illusion gerechtfertigter Machtbefugnis nicht im Licht ihres unbarmherzigen Tributs verblasste und diese Rohlinge nicht von der ihnen zahlenmäßig weit überlegenen Bevölkerung überwältigt wurden.
Aus diesem Grund war Richard auch klar gewesen, dass er nicht zum Anführer taugte: Er konnte die Menschen nicht zu der Erkenntnis zwingen, dass aufgrund des hohen Wertes ihres Lebens Zwang verkehrt war, wohingegen der Orden sie durchaus zum Gehorsam zwingen konnte, indem er ihnen erst einmal einredete, ihr Leben sei wertlos. Freie Menschen ließen sich nicht beherrschen; man musste den Wert der Freiheit erst erkennen, bevor man sie fordern konnte.
»Nach allem, was ich gehört habe, soll es ein Großereignis werden«, sagte Ishaq. »Die Menschen kommen von überall her zur Weihung des Palastes des Kaisers. Die Stadt ist voller Besucher von nah und fern.«
Richard sah sich auf der Baustelle um, während die Arbeiter schweren Schritts wieder an ihre gewohnte Arbeit gingen.
»Ich bin überrascht, dass keiner der Beamten vorbeigeschaut hat, um den Palast vorab zu besichtigen.«
Ishaq schwenkte abtuend seine Mütze. »Sie sind alle auf der Versammlung der Bruderschaft des Ordens, im Stadtzentrum von Altur’Rang. Ganz große Sache. Es gibt zu essen und zu trinken, dazu Ansprachen von den Ordensbrüdern. Du weißt, wie beliebt Versammlungen beim Orden sind. Verdammt langweilig, könnte ich mir vorstellen. Nach allem, was ich von diesen Veranstaltungen weiß, wird man die Beamten damit auf Trab halten, dass man sie über die Nöte des Ordens sowie ihre Pflicht unterrichtet, die Menschen dazu zu bewegen, für diesen Zweck Opfer zu bringen. Die Brüder werden sie sämtlich straff am Zügel halten.«
Das bedeutete, dass die Ordensbrüder alle beschäftigt sein würden – zu beschäftigt, um für eine so unbedeutende Aufgabe wie die Überprüfung einer Statue, die einer ihrer Sklaven geschaffen hatte, zur Baustelle rauszukommen. Richards Statue war im großen Plan nicht von Belang. Sie bildete lediglich den Ausgangspunkt für den eindrucksvollen Rundgang vorbei an den meilenlangen Mauern, auf denen in ausgedehnten Szenen das große Anliegen des Ordens dargestellt wurde, so wie es die Ordensbrüder – unter Bruder Narevs Führung – vorschrieben.
Wenn die Beamten und Brüder zu beschäftigt waren, um an diesem Tag zu kommen – die Bewohner der Stadt waren es nicht. Vermutlich würden die meisten von ihnen den Feierlichkeiten des nächsten Tages beiwohnen, davor aber wollten sie sich, ganz für sich, selbst einen Eindruck von diesem Ort verschaffen, ohne die langweiligen Reden, die die Zeremonie in die Länge ziehen würden. Richard sah viele dieser Menschen von einer Szene auf den Mauern zur nächsten schreiten, die Gesichter erfüllt von der Trostlosigkeit dessen, was sie dort geboten bekamen.
Gardisten hielten die Menschen auf respektvolle Distanz und fern von dem Labyrinth der Räumlichkeiten und Korridore, die mittlerweile von Geschossdecken und, an einigen Stellen, Dächern nach oben hin abgeschlossen waren. Jetzt, da die Statue auf ihrem Platz stand, rückten die Gardisten an, um den Zugang zu dem Vorplatz freizuräumen.
In der vergangenen Woche hatte Richard nur wenige Stunden Schlaf gefunden. Nun, da die Statue endlich auf ihrem Platz stand, überwältigte ihn die Müdigkeit. Angesichts der vielen Mehrarbeit zusätzlich zu dem wenigen Schlaf und der schlechten Ernährung war er fast so weit, dass er sich auf der Stelle hätte niederlegen können.
Victor kam aus den langen
Weitere Kostenlose Bücher