Schwester der Finsternis - 11
Schatten hervor; einige Arbeiter waren schon dabei, aufzubrechen, andere wiederum würden noch stundenlang beschäftigt sein. Richard hatte nicht einmal mitbekommen, dass es den größten Teil des Tages gedauert hatte, die Statue umzusetzen. Jetzt, da die Hitze der Arbeit vorbei war, klebte ihm das schweißdurchtränkte Hemd eiskalt auf der Haut.
»Hier«, sagte Victor und reichte Richard eine Scheibe Lardo. »Iss. Um zu feiern, dass du es geschafft hast.«
Richard bedankte sich bei seinem Freund, bevor er den Lardo gierig verschlang. Er hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um den Menschen vor Augen zu führen, was sie sehen mussten. Aber jetzt, da die Arbeit beendet war, fühlte Richard sich plötzlich verloren. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, wie sehr er es verabscheute, fertig zu sein, auf die würdevolle Arbeit verzichten zu müssen. Sie war es gewesen, die ihn aufrecht gehalten hatte.
»Ich schlafe im Stehen ein, Ishaq. Meinst du, du könntest mich auf dem Nachhauseweg ein Stück in deinem Wagen mitnehmen?«
Ishaq gab Richard einen Klaps auf den Rücken. »Komm, du kannst hintendrauf mitfahren. Ich bin sicher, Jori hat nichts dagegen. So kann er dir wenigstens einen Teil deines Fußmarsches ersparen. Ich muss hier bleiben und mich um die Gespanne und die Wagen kümmern.«
Richard bedankte sich bei dem strahlenden Victor. »Morgen früh, meine Freunde, werden wir bei vollem Tageslicht die Plane abnehmen und zum letzten Mal Schönheit erblicken. Danach … nun, wer weiß.«
»Also, dann bis morgen«, sagte Victor mit seinem listigen Lächeln. »Ich glaube, heute Nacht mache ich kein Auge zu«, rief er Richard hinterher.
All die Monate der Anstrengung schienen auf einmal über ihn hereinzubrechen. Er kletterte auf die Ladefläche von Ishaqs Wagen und wünschte dem Mann eine gute Nacht. Als Ishaq sich entfernte, rollte Richard sich, um sich gegen das Licht zu schützen, unter einer Plane zusammen und war eingeschlafen, bevor Jori zurückkehrte. Er bekam nicht das Geringste davon mit, dass der Wagen sich in Bewegung setzte.
Nicci beobachtete, wie Richard zusammen mit Ishaq aufbrach. Sie wollte es alleine tun; es sollte ihr Beitrag sein. Sie wollte etwas beisteuern, das von Wert war.
Erst dann konnte sie ihm wieder gegenübertreten.
Sie wusste ganz genau, wie der Orden auf die Statue reagieren würde; man würde sie als Gefahr ansehen und nicht zulassen, dass andere sie zu Gesicht bekamen. Der Orden würde sie demzufolge zerstören. Dann wäre sie dahin, und niemand würde je von ihrer Existenz erfahren.
Die Finger ineinander schlingend überlegte sie, wie sie weiter vorgehen sollte – was zuerst zu tun war. Dann kam ihr der rettende Gedanke. Sie hatte ihn schon einmal aufgesucht; und damals hatte er Richard auch geholfen. Mit hastigen Schritten lief Nicci über das weite Gelände der Palastbaustelle und den Hügel hinauf.
Sie war außer Atem, als sie bei der Schmiedewerkstatt anlangte. Der grimmig dreinblickende Schmied war gerade dabei, das Werkzeug fortzuräumen; das Feuer in seiner Esse hatte er bereits mit Asche zugedrückt. Einen winzigen Augenblick lang riefen die Gerüche und Bilder, ja sogar die feine Schicht aus Eisenstaub und Ruß in Nicci eine freudige Erinnerung an die Werkstatt ihres Vaters hervor. Jetzt begriff sie den Blick in den Augen ihres Vaters. Sie bezweifelte, dass er ihn selbst je ganz verstanden hatte, aber sie tat es jetzt. Der Schmied sah auf, ohne zu lächeln, als sie in seine Werkstatt stürmte.
»Mr. Cascella! Ich brauche Eure Hilfe!«
Sein Blick verfinsterte sich noch mehr. »Was ist denn los? Wieso weint Ihr? Ist es wegen Richard? Hat man ihn…«
»Nein, nichts dergleichen.« Sie ergriff seine fleischige Hand und zog. Es war, als wollte man einen Felsbrocken fortziehen. »Bitte, kommt mit. Es ist wichtig.«
Er deutete mit seiner freien Hand um sich, auf seine Werkstatt. »Aber ich muss für die Nacht aufräumen.«
Sie zerrte abermals an seiner Hand. Sie merkte, wie ihr die Tränen in den Augen stachen. »Bitte! Es ist wirklich wichtig!«
Er wischte sich mit seiner freien Hand übers Gesicht. »Also gut, geht Ihr voraus.«
Nicci kam sich ein wenig albern dabei vor, den stämmigen Schmied an der Hand hinter sich herzuziehen, als sie den Hang hinunterrannte. Er wollte wissen, wohin sie denn gingen, aber sie antwortete nicht. Sie wollte unten sein, bevor das Tageslicht ganz verschwunden war.
Als sie auf dem Vorplatz anlangten, patrouillierten Gardisten,
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