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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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was er damit meinte. Schließlich würden sie nicht einfach in ein Gefängnis marschieren und den Jungen mitnehmen können. Nein, ein Grund zur Freude war diese Information nicht. Der Umstand, dass der Junge in Haft war, machte die Angelegenheit in seinen Augen nur noch komplizierter. »Wie ist es dazu gekommen?«
    »Die Polizei glaubt, er hätte einen Mord begangen.«
    »Hat er aber nicht?«
    »Nein. Das hat er nicht.«
    Aus der Art, wie er es sagte, schloss Cato, dass mehr dahintersteckte, als Lacie preisgeben wollte. Möglicherweise war er selbst in die Sache verwickelt. Wahrscheinlich ging der Mord sogar auf sein Konto.
    Wut stieg in Cato auf. Also war Lacie dafür verantwortlich, dass sie jetzt nicht mehr an den Jungen herankamen – und an das Achat. Cato verstärkte den Kieferdruck auf sein Kaugummi. Lacie war nur ein Handlanger, der glaubte, dass der Junge eine von wenigen Personen weltweit war, die über Fähigkeiten verfügten, die die Grundfesten der römischkatholischen Kirche erschüttern konnten. Das Achat war noch viel mehr. Aber davon durfte Lacie auf keinen Fall erfahren.
    Schon bei ihrem ersten gemeinsamen Auftrag hatte er sich als ausgesprochen eigensinnig erwiesen. Seien Sie unbesorgt, war einer seiner bevorzugten Leitsätze. Auch diesmal schien er auf eigene Faust gehandelt zu haben. »Und was lässt Sie glauben, dieser Umstand mache die Sache für uns einfacher?«
    »Wir müssen den Jungen nicht mehr rund um die Uhr beobachten. Wir wissen, wo er steckt. Er kann uns nicht entwischen.«
    Wir kommen aber auch nicht mehr an ihn heran, dachte Cato. Laut sagte er: »Dann bringen Sie mich jetzt zu ihm.«
    Lacie wies auf die digitale Uhr im Armaturenbrett. Sie zeigte 22.56 Uhr. »Sie wollen jetzt noch zu dem Jungen?« Es klang wie: Sind Sie noch bei Trost?
    Cato sah den Moment gekommen, Lacie in seine Schranken zu verweisen. »Sie wissen, was Ihre Aufgabe ist?«
    »Ja«, gab sein Gegenüber knapp zurück.
    »Sie setzen mich über alles in Kenntnis.«
    »Ja.«
    »Sie unterstehen meinen Anweisungen.«
    »Ja«, meinte Lacie.
    »Schön, dass wir uns so weit einig sind. Warum also fahren Sie mich jetzt nicht einfach zu dem Jungen?«
    Lacie wischte gelangweilt über das Armaturenbrett. »Hören Sie, Cato, der Junge sitzt im Gefängnis. Man würde uns nicht zu ihm vorlassen.« Er deutete erneut auf die Uhr. »Nicht um diese Zeit. Auch nicht als Abgesandte des Vatikans. Im Übrigen: Das ist ja gerade das Erfreuliche daran – der Junge läuft uns nicht weg. Er wartet auch morgen Früh noch in seiner Zelle. Kein Grund, etwas zu überstürzen.«
    Cato grub die Zähne in das Kaugummi. Manchmal wirkte es Wunder. Auch diesmal rief es ihn zur Besonnenheit. Trotz aller Vorbehalte, die der Bischof und er gegen Lacie hegten, unter den Freunden genoss dieser ein überraschend hohes Ansehen. Über ihn, Cato, wussten sie dagegen nichts. Nur wenige im Vatikan kannten ihn überhaupt. Und das aus gutem Grund. Alles das, was er als Geistlicher tat, war unverzeihlicher als das, was Lacie als weltlicher Arm des Offiziums unternahm. Beide taten sie das, was getan werden musste, mit einem kleinen Unterschied: Cato kannte die wahren Gründe für die Drecksarbeit.
    Noch viel ärgerlicher aber war: Lacie hatte Recht. Natürlich würden sie um diese Zeit nicht mehr viel erreichen. Er befand sich nicht mehr in Brasilien, wo man als katholischer Geistlicher praktisch Narrenfreiheit besaß. Hierzulande erregte er nur Aufmerksamkeit mit allzu direktem Vorgehen. Das war das genaue Gegenteil von dem, was de Gussa von ihm verlangt hatte. Meine Konzentration lässt nach. Er agierte unbedacht. Er war müde, gereizt. Das ist gefährlich. Er fragte: »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Junge in Haft bleibt?«
    »Keine Angst, er wird vorerst in Untersuchungshaft bleiben.«
    »Das habe ich nicht gemeint.«
    »Sondern?«
    »Wie ist es um seine Fähigkeiten bestellt?«
    »Noch nicht sehr weit. Er steht gerade am Anfang.«
    »Sind Sie sich sicher?«
    »Seine Großmutter hat ihn erst am Montag darüber in Kenntnis gesetzt.«
    »Was weiß er?«
    »So gut wie nichts.«
    »Was hat sie ihm erzählt?«
    »Sie hatte noch keine Gelegenheit dazu, ihn zu unterrichten. Und die wird sie auch nicht mehr bekommen.«
    Cato ahnte Schlimmes. »Weshalb?«
    »Sie liegt im Krankenhaus«, erklärte Lacie, und die Genugtuung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Nach all den Jahren geht es zu Ende mit ihr.«
    »Haben Sie etwas damit zu tun?«
    Lacie
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