Schwester Lise
Uringläser ausleert, und ohne - “
„Ohne die gütigste Schwiegertante der Welt, die ihm schönes Essen kocht und es ihm gemütlich macht! Tantchen, du bist ein Engel, und ich bin eine verwöhnte Göre, die was mit der Rute haben müßte!“
„Wenn du verwöhnt bist, dann ist es meine Schuld, und dann muß ich versuchen, es wiedergutzumachen, wenn es wohl auch ein bißchen spät dazu ist. Aber nicht wahr, du - es ist doch besser, bei Halfdan zu sein und es schwer zu haben, als weit von ihm weg zu sein und es leicht zu haben?“
Eirin antwortete nicht. Dieser Gedanke war ihr noch nie gekommen. Sie hatte sich oft gewünscht, wieder im Süden zu sein, aber immer sollte es dann mit Halfdan zusammen sein. Nicht eine Sekunde war es ihr eingefallen, daß er hier bliebe und daß sie allein fahren müßte, wenn sie einmal Frostviken verlassen würde.
Eirin kam sich mit einemmal wie ein hilfloses kleines Ding vor. Sie tat, was sie immer getan hatte, als sie noch klein war: Sie zog sich ein Kissen auf den Fußboden herunter und setzte sich der Tante zu Füßen.
Tante Bertha legte das Strickzeug weg und strich Eirin über die dunklen Locken.
„Na? Was gibt’s denn jetzt?“
Sie kannte Eirin, und sie wußte, jetzt kam etwas Heikles.
„Es ist so, daß - daß - ich nicht weiß, was ich tun soll, Tantchen. Ich fühle, irgendwo in mir ist etwas schief und verkehrt, aber ich weiß nicht, was. Es ist fast so, als ob etwas fehle-“
Tante Bertha nickte.
„Fehlt es dir vielleicht an Arbeitsfreude?“
„Ja, in hohem Maße!“ Eirin wurde rot. Sie blickte zu der Tante
auf.
„Nicht weitersagen, Tantchen - aber du, ich glaube, diese Arbeit wird noch mal mein Tod! Ich graule mich so, daß ich ganz krank bin, wenn ich den Spucknapf wieder saubermachen muß. Und gestern hatte einer auf die Ofenplatte gespuckt - oh du ahnst es nicht! Und heute hatte Halfdan einen Magen auszupumpen, und als der Schlauch hinterher ausgekocht werden mußte, da - “ Eirin hielt sich die Hand vor den Mund. Die Tante blieb ungerührt.
„Aber mein Herz! Hast du es nicht übernommen, Halfdans Sprechstundenhilfe zu sein?“
„Doch, aber - “
„Du konntest doch nicht glauben, das bedeute nur, saubere Buchstaben in ein großes Journal zu malen und auf dem Schreibtisch Staub zu wischen?“
„Nein, aber - “
„Jetzt kennst du also die Arbeit. Hast du Halfdan so lieb, daß du dich damit abfinden kannst, ja, daß sie dir geradezu ein Bedürfnis wird, um seinetwillen?“
Eirin antwortete nicht. Sie drehte ihren Gürtel zwischen den Fingern hin und her, hin und her.
Die Tante enthob sie der Antwort. Sie blickte auf die Uhr. „Oje, wenn wir heute noch Abendbrot haben wollen, dann muß ich mich sputen. Was meinst du, Eirinchen, wie wäre es heute abend mal mit einer Omelette? Schau doch eben mal zu Halfdan hinein, und frag ihn, wann er meint, daß er essen kann, dann soll er eine ganz frisch gebackene kriegen.“
Eirin stand auf und ging ins Sprechzimmer hinüber. Halfdan saß über sein Mikroskop gebeugt. Neben sich hatte er einen Notizblock und Bleistift. „Nun?“
Er fragte freundlich zerstreut, ohne den Blick zu heben, und schraubte vorsichtig weiter am Mikroskop.
„Viel zu tun, Liebster?“ Eirins Stimme klang hell und freundlich. Er sah einen Augenblick auf und lächelte. Dann hatte er das Auge wieder am Okular.
„Nun ja, wie immer. Was gibt es denn, Eirin?“
„Tante Bertha läßt fragen, wann du essen möchtest.“
„Wie’s euch paßt. Sagt nur Bescheid.“
Er drehte und schraubte am Mikroskop, nahm die Glasplatte heraus und legte sie beiseite. Eirin trat dicht auf ihn zu, stellte sich hinter ihn und legte die Arme um seinen Hals. „Du überanstrengst dich, mein Junge!“ Sie rieb ihren Mund und die Nasenspitze gegen seinen Kopf, das Haar kitzelte ihr im Gesicht. Halfdan lächelte. Es war lange her, daß Eirin so zärtlich gewesen war.
„Ach, es wird schon gehen. Jetzt müssen wir doch bald das Schlimmste hinter uns und alles aufgearbeitet haben, was sich nach dem Tode des alten Doktors hier angesammelt hatte.“
„Kann ich dir mit irgend etwas helfen?“
„Aber nein, geh du nur und mach dir’s gemütlich. Du bist den ganzen Tag über so tüchtig, abends sollst du wenigstens frei sein.“ Eirins Herz tat einen Sprung vor Freude.
„Meinst du das im Ernst? Bin ich tüchtig?“
„Du bist sehr tüchtig. Schließlich hast du keine andere Ausbildung als einen kleinen Krankenpflegekurs!“
Jetzt schoß Eirin um
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