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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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wir ja alle miteinander so auf die Welt gekommen“, lachte Eirin.
    Ja, das war es gar nicht, wovor sich Marjas Tochter graulte.
    Daß sie ein Kind bekommen sollte, war ja ganz einfach, man brauchte nur Jonsine auf dem Hang zu rufen, sie hatte so gut wie alle Kinder in Frostviken in den letzten fünfundzwanzig Jahren geholt. Aber zum Doktor zu gehen, zu einem Mann, den sie nicht kannte -!
    „Aber meine Gute, jetzt hör mal zu!“ sagte Eirin. „Denkst du vielleicht, du bist die einzige, die der Doktor untersucht hat? Hundert-, ja tausendmal hat er Frauen untersucht, die ein Kind bekommen sollten und denen der Rücken weh tat und was sonst noch alles. Meinst du, er denkt: Dies ist also Elvina, verheiratet mit Lars Norderpollen, Tochter der Post-Marja, nein, wie dumm, daß ich sie jetzt untersuchen muß!“
    Elvina mußte lächeln. Das klang ja ganz plausibel! Doch beruhigt war sie noch nicht.
    „Was meinst du denn sonst, was er denkt?“
    „Was er denkt? Er denkt: Hier fühle ich, daß das Kind genau so liegt, wie es soll. Aha! Die Patientin klagt über Rückenschmerzen, da ist es das beste, wir untersuchen mal den Urin. Und dann bittet er dich, mit einer Probe in einer kleinen Flasche wiederzukommen. Er schreibt deinen Namen ins Protokoll, sagt: ,Auf Wiedersehen, Elvina’, öffnet die Tür und ruft: ,Der nächste, bitte!’ Und dasselbe hat er zu Hunderten von Frauen gesagt, verlaß dich drauf!“
    Tante Bertha im Eßzimmer hörte fast alles. Ob nicht Eirin doch eine tüchtige kleine Doktorsfrau wurde?
    Halfdan hatte noch nicht vom Heiraten gesprochen - noch nicht. Aber nach Weihnachten würde es wohl soweit sein, dachte Tante Bertha. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, daß es sein sollte, wenn die Sonne wieder da war. Ach, wie sie sich auf einen richtigen Sonnenstrahl freute!
    „Kannst du nicht mit reinkommen?“ flüsterte Elvina, als Halfdan in der Tür erschien und sie ins Sprechzimmer rief.
    Eirin wurde rot. Das hatte sie nun davon! Jetzt wurde sie auf die gleiche Probe gestellt. Jetzt war es an ihr, verlegen zu werden.
    „Du bist doch Krankenschwester“, sagte Elvina und deutete auf Eirins weiße Schürze und Kappe.
    „Selbstverständlich, ich gehe gern mit, wenn du es möchtest“, erklärte Eirin keck. Ihr war zwar nicht ganz wohl dabei. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Was hatte sie eben noch zu Elvina gesagt:
    Glaubst du, der Doktor denkt: Nein, wie dumm, daß -! Ach was, er merkt es sicher gar nicht, daß da noch ein Dritter zugegen ist. In der Sprechstunde ist er nur Arzt - na also!
    Elvina zuckte zusammen, als sie sich auf den Untersuchungsstuhl mit dem Wachstuch, mit der verstellbaren Rückenlehne und den blanken Bügeln legen sollte. Aber Eirin lächelte ihr aufmunternd zu, und da wurde Elvina ruhig. Sie preßte nur Eirins Hand und hielt den Blick unverwandt auf sie gerichtet.
    Sie sagte auch hinterher nichts, bis sie aus dem Sprechzimmer heraus war. Da drehte sie sich zu Eirin um:
    „Das war ja gar nicht schlimm!“
    Eirin lachte.
    „Siehst du, es ist überhaupt nicht gefährlich, zum Doktor zu gehen. Der Doktor ist doch zum Helfen da, das dürfen wir nie vergessen, und nicht, um einem weh zu tun. Im Gegenteil, er nimmt uns die Schmerzen! Jetzt sollst du mal sehen, wie schnell deine Rückenschmerzen verschwunden sind, und vielleicht kommt er auch, wenn die Zeit da ist, und holt dein Kind, zusammen mit Jonsine.“
    Elvina lächelte glücklich. Sie eilte beschwingt zum Postamt, um der besorgten Mutter Bericht zu erstatten.
    Eirin stand am Fenster und schaute ihr nach.
    Sie war Elvina dankbar. Ihr war plötzlich klargeworden, daß man sich selbst hilft, wenn man anderen beisteht.
    Eirin wußte vor Arbeit nicht aus noch ein. Von früh bis spät war sie auf den Beinen. Die Praxis vergrößerte sich von Tag zu Tag. Abends saß sie über den Weihnachtsvorbereitungen.
    Halfdan hatte allmählich Ordnung in seine „Apotheke“ gebracht. Er war gezwungen, Kampfertropfen und Vaseline, Aspirin und Tran, Augensalbe, Verbandstoffe und tausend andere Dinge selbst zu führen. Eirin hatte es übernommen, die „Apotheke“ zu verwalten und Buch zu führen. Die Bilanz war niederschmetternd. Bis jetzt hatte er nämlich den dritten Teil des Warenvorrats verkauft und erst den zwölften Teil der Auslagen wieder hereinbekommen. Ein Geschäft wurde dieser Handel also nicht!
    Die Honorare erhielt er von der Kasse. Hin und wieder kam es auch vor, daß ein Patient nicht versichert war und bar bezahlte. So

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