Schwester Lise
Lampen gefüllt und das Sprechzimmer in Ordnung gebracht war - dann hätten sie es sich eigentlich um die Hängelampe herum gemütlich machen können. Aber aus der Gemütlichkeit wurde nicht viel. Wenn keine Krankenbesuche zu machen waren, dann wartete im Sprechzimmer andere Arbeit auf Halfdan. Es kam schließlich so, daß Eirin und Tante Bertha sich selbst überlassen blieben und mit ihren Handarbeiten schweigend, nachdenklich und müde unter der Lampe saßen.
An den Posttagen kamen Zeitungen und Zeitschriften, aus denen man vorlesen konnte, oder Eirin bekam einen Brief von einer Freundin aus dem Süden.
Und dann hatten sie das Radio, das Wunderkästchen! Halfdan hatte es kommen lassen - einen Reiseapparat - und eigens Batterien dafür besorgt. Ein willkommeneres Geschenk hätte er den beiden Frauen nicht machen können. Sie saßen Abend für Abend und hörten die Sendungen aus einer Welt, an deren äußerstem Ende sie zu leben glaubten.
Mit einemmal wurde Eirin lebendig:
„Tante Bertha! Hör doch mal! Ist das nicht Cilly, die da singt?“
„Bist du sicher -?“
„Meinst du, ich kenne ihre Stimme nicht? Hör nur, sie singt im Radio! Weißt du noch, wie sie zu mir kam, als wir noch klein waren, Tantchen, und wir sangen dann - “
„Häschen und Mäuschen“, lächelte Tante Bertha. „Ja, ja, so nannte ich euch, und wenn Cilly gesungen hatte, dann bekam sie fünf Öre, für die ihr euch was kaufen durftet!“
Die Stimme im Radio sang das kleine Lied zu Ende. Dann sagte Cilly - ja, natürlich war es Cilly:
„Ich bin gebeten worden, zuletzt noch das gute alte Lied ,Häschen und Mäuschen’ zu singen.“
Eirin lauschte atemlos. Sie stand vom Stuhl auf, hockte sich hin und hielt das Ohr ganz dicht an den Lautsprecher, so, als fühlte sie sich auf diese Weise der Jugendfreundin näher, näher dem Licht und der Wärme und fröhlichen, sorglosen Menschen.
„Häschen und Mäuschen wohnen Hof an Hof - “
Eirin schluckte. Sie sah die Stube zu Hause vor sich, die trauliche Stube mit den Möbeln aus ihrem Elternhaus und Tante Berthas blühenden Topfpflanzen. Cilly hatte ein gelbes Blüschen an und den kleinen blauen Trägerrock und sang mit ihrer klaren Kinderstimme.
„Von der Schule gehn sie Hand in Hand, knüpfen täglich ew’ges Freundschaftsband - “
Sie und Cilly gingen immer zusammen von der Schule nach Hause. Beide hatten Ränzel mit Fell auf der Klappe, beide trugen Matrosenmützen mit langen blauen Bändern. Es war sonniges Wetter und Frühling.
„Aber eines Tages stritten sie, o Graus, nie darfst du wieder kommen in mein Haus!“
Sie hatten sich eines Tages fürchterlich gezankt, weil Eirins großer bunter Ball ein Loch bekommen hatte. Eirin behauptete, Cilly habe es getan, und Cilly schwor, es sei Eirin selbst gewesen. Wie hatte Eirin an jenem Abend geweint! Wie unglücklich war sie gewesen!
„Häschen, weißt du, ach, es tut mir ja so leid, laß uns Freunde sein in alle Ewigkeit!“
Ja, so war es dann gekommen. Sie hatten sich umarmt und geküßt und sich wieder vertragen. Und die Freundschaft hatte all die Jahre bestanden bis zum heutigen Tag.
Eirin schluckte wieder. Als Cilly das Lied beendet hatte, liefen ihr die Tränen über die Wangen.
Tante Bertha sah über die Brille zu ihr hinüber. Sie war so dünn und blaß, die kleine Eirin, ihr kleines Mädchen.
Tante Berthas Stimme klang ruhig und gütig, als sie jetzt sagte: „So, du sehnst dich also auch nach dem Süden, mein Kind?“
Eirin schaute auf und trocknete ihre Tränen.
„Auch? Tust du es denn, Tantchen?“
Tante Bertha räusperte sich.
„Na ja - weißt du -, ich denke auch hin und wieder mal an Oslo
- vor allen Dingen an den Sonnenschein. Ich würde ganz gern mal wieder die Sonne auf dem Neuschnee sehen.“
„Ich auch, Tantchen.“
„Aber du weißt, im tiefsten Innern freue ich mich, daß ich hier bei euch sein und euch helfen kann und was Ordentliches kochen - “ „Ja, darin bist du großartig, Tantchen.“
„Ebenso wie du natürlich glücklich bist, daß du Halfdan helfen kannst, wenn auch deine Arbeit nicht gerade unterhaltsam ist.“
Da lächelte Eirin.
Tante Bertha lächelte ebenfalls.
„Na ja! Aber was ich sagen wollte, du weißt ja, diese Arbeit ist der Preis, den du zahlst, um in Halfdans Nähe sein zu dürfen. Stell dir vor, wie schlimm es für dich sein würde, wenn du ihn hier oben allein in der Dunkelheit und Einsamkeit wüßtest, ohne ein liebes Mädel neben sich, das ihm die Spucknäpfe und
Weitere Kostenlose Bücher