Schwester Lise
Frühstück war er ins Sprechzimmer gegangen. Er schloß den Schreibtisch auf, zog den weißen Mantel an und machte sich zurecht, um die Patienten zu empfangen.
Plötzlich hob er den Kopf und lauschte. Er hörte im Wartezimmer jemand reden.
Er ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
„Ich möchte doch wirklich gern mal wissen, was du dir einbildest“, hörte er Eirins Stimme. „Du eingebildeter Dummkopf, tust nichts, als dazustehen und Gestank und Ekel zu verbreiten. Denkst du vielleicht, du kannst mir ein Bein stellen? Jaja, du stehst da, kugelrund und selbstgefällig, ich sehe es ja - und du bildest dir ein, du könntest zwischen mir und Halfdan was zerstören? Da irrst du dich gewaltig, mein Lieber! Hast du eine Ahnung, was echte Liebe ist! O nein, Hochverehrter. Was die Dunkelheit und die Einsamkeit nicht können, das bringst du erst recht nicht zuwege. Kannst du sehen, wie fein ich den Fußboden gewischt habe? Ja, ja, du magst recht haben, ich hätte es gestern abend tun sollen, aber da hab’ ich Halfdan geholfen, den Arzneischrank aufzuräumen. Der ganze Matsch ist die Nacht über auf der Erde liegengeblieben. Richtig ekelhaft ist das, will ich dir sagen! Aber jetzt ist es hier fein, ob du’s wahrhaben willst oder nicht, du greuliches Gespenst! Und du denkst, du kannst mich erschüttern? Tja, natürlich wäre es ganz prächtig, wenn ich dich unter einen Warmwasserhahn stellen und dich da stehen lassen könnte, bis du sauber bist. Aber wir haben nun mal keinen Warmwasserhahn, verstehst du, also muß es auch ohne gehen. Du wirst trotzdem sauber werden, du Ferkel! Eins, zwei, drei, hierher jetzt, Bürschchen, wenn du denkst, ich übergeb’ mich noch einmal, von wegen! Jetzt habe ich mich an dich gewöhnt, verstehst du! Als ich noch klein war und dumm, da hattest du mich unter der Fuchtel. Jetzt bin ich dir aber über, merk dir’s!“
Halfdan biß sich auf die Lippe, um nicht laut herauszulachen. Da stand seine Eirin mitten im Zimmer, mit aufgekrempelten Ärmeln und der dicken, groben Leinenschürze um. Die Locken waren unter einem großen bunten Kopftuch ganz verborgen. Sie stand mit gespreizten Beinen, die Hände in die Hüften gestemmt und den Blick auf den Fußboden geheftet. Vor ihr stand der Spucknapf. Jetzt bückte sie sich und ergriff ihn.
„Jetzt kommst du raus, du Scheusal, und kriegst ein ordentliches Morgenbad, das hast du nötig! Wir wandern fröhlichen Mutes dahin, schnell ist der Fuß und leicht unser Sinn -.“ Singend verschwand Eirin durch die Tür, mit dem Erzfeind in der Hand.
Halfdan schloß leise wieder seine Tür. Gleich darauf hörte er Eirin zurückkommen. Der Spucknapf wurde an seinen Platz gestellt. Jetzt rasselte Koks in den Ofen; ein Zylinder klirrte. Es folgten rasche, beschwingte Schritte durch das Zimmer, begleitet von einem leisen, munteren Trällern. Dann ging wieder die Tür.
„Ah, guten Morgen, Peder Olai! Da bist du ja! Nun, ist der Finger wieder entzündet?“
Eine rauhe, brüchige Jungenstimme antwortete. Dann sprach Eirin wieder:
„Nanu, ist es heute die andere Hand? Wie in aller Welt kommst du bloß zu all deinen entzündeten Fingern, Peder Olai? Ach ja, ich verstehe schon - aber du mußt jetzt mal ganz besonders vorsichtig sein, auch wenn du auf Fischfang bist! Wie alt bist du, Peder Olai? Fünfzehn? Du bist diesen Winter zum ersten Mal mit draußen, nicht? Du sollst mal sehen, du wirst Baas auf einem großen Boot, ehe du einen Bart auf deinem Kinn hast!“
Halfdan hörte ein verlegenes Knabenlachen. Er machte die Tür auf und ließ Peder Olai ein.
Die Wartezimmertür öffnete sich noch oft an diesem Morgen. Eitrige Finger und pfeifende Brustkästen, entzündete Mandeln und schmerzende Zähne wurden behandelt. Marja von der Post hatte ihre Tochter geschickt, die ihr erstes Kind bekommen sollte. Sie war puterrot und schüchtern und sehr unglücklich. Eirin lud sie ein, ins Wohnzimmer zu kommen, und bot ihr einen Sprudel an. Die Tochter der Marja von der Post war noch nie beim Arzt gewesen, und dies heute war ihr nun besonders unangenehm. Aber die Mutter wollte durchaus, daß sie den Doktor aufsuchte, denn ihr tat seit langem der Rücken weh. Sie war so aufgeregt, daß sie sogar Tante Berthas gute Kekse verschmähte.
Eirin plauderte mit ihr und erzählte vom Südland: von den großen Krankenhäusern in Oslo, wo sie den ganzen Tag nichts anderes machten, als Frauen zu untersuchen, die Kinder erwarteten, und ihnen zu helfen.
„Und schließlich sind
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