Schwester Lise
stand er in der Tür.
Sie sahen sich schweigend an. Halfdan war naß, durchfroren, müde.
„Du bist noch auf?“
„Ja.“
„Ist etwas Heißes zum Trinken da?“
„Ich gehe in die Küche und mache etwas heiß.“
Eirin zitterte. Es war eiskalt in der Küche. Sie zündete den Petroleumkocher an und machte Kaffee.
Halfdan folgte ihr. Er ging in die Speisekammer, suchte und kam, an einem Stück Braten kauend, wieder heraus.
„Setz dich neben den Herd. Ich mach’ Feuer. Du wirst ein paar Butterbrote essen wollen?“
„Ja, danke. Ich habe Hunger.“
Halfdan machte selbst Feuer im Herd an. Eirin band sich eine von Tante Berthas Küchenschürzen um. Ihre Hände streiften dabei das weiche Fell der neuen Jacke.
„Ich danke dir für die Jacke, Halfdan! Sie ist wirklich wunderschön.“
„Hoffentlich paßt sie“, entgegnete Halfdan. Weiter sagten sie beide nichts. Eirin belegte Butterbrote mit Schinken und Braten. Ihre Hände flogen. Schade um den schönen Weihnachtsbraten, dachte sie flüchtig. Statt in guter Laune am festlich geschmückten Tisch zu Sauerkraut und Rotwein gegessen zu werden, wurde er jetzt achtlos in Stücke geschnitten und stehend verschlungen.
Eirin setzte das Teebrett mit Broten und Kaffee auf einen Hocker neben dem Herd. Halfdan aß gierig. Sie selbst brachte keinen Bissen herunter. Aber sie trank zwei Tassen von dem starken, kochendheißen Kaffee.
Wäre ich vernünftiger gewesen, könnten wir jetzt den Heiligabend noch feiern, ging es ihr durch den Sinn. Wir hätten wieder den Baum anzünden, das Essen wärmen und Weihnachtslieder spielen können, auch wenn es vier Uhr morgens war. Es wäre noch eine wunderbare, unvergeßliche Weihnacht geworden. Aber die häßlichen, eigennützigen Worte, die sie Halfdan mit auf den Weg gegeben hatte, standen zwischen ihnen -unvergessen, unvergeben. Sie waren nicht mehr wegzunehmen, sie standen gleichsam im Raum, erfüllten das Haus. Und Eirins Bereitschaft, Halfdan um Vergebung zu bitten, hatte sich in Trotz verwandelt, seit die Ansichtskarte mit Palmen und blauem Himmel ihr vor die Augen gekommen war. Müde, enttäuscht, unzufrieden mit sich selbst, immer noch geschüttelt von der Angst, die sie um Halfdan ausgestanden hatte - das alles nahm ihr die Kraft, ein versöhnliches Wort zu sagen. Was blieb, war eine unbestimmte, verzweifelte Sehnsucht nach Licht und Wärme. Halfdan stand auf. „Ich danke dir.“ Eirin begann die Sachen wegzuräumen. „Wie geht es Elvina?“
„Gut - jetzt. Gute Nacht, Eirin.“
„Gute Nacht.“
Sie stand starr und lauschte. Er ging hinauf. Sie hörte seine festen Schritte auf der Treppe. Jetzt betrat er das nördliche Giebelzimmer und schloß die Tür hinter sich.
Frierend und niedergeschlagen räumte Eirin die Tassen weg und legte Tante Berthas Schürze ab. Dann ging sie ins Zimmer zurück -überlegte einen Augenblick und begab sich ins Sprechzimmer. Sie hatte einen Leuchter in der Hand, einen Leuchter mit einem roten Licht.
Sie nahm einen Bleistift vom Schreibtisch und riß ein Blatt vom Rezeptblock ab.
Nur ein Wort schrieb sie darauf, nahm den Zettel mit, tappte leise nach oben, streifte die Schuhe ab und ging auf Strümpfen bis zu Halfdans Tür. Sie schob das Papier unter die Türritze und tappte zurück.
Halfdan hatte das Rascheln an der Tür gehört. Er stand wieder auf und machte Licht. Etwas Weißes schimmerte auf der Schwelle.
Er hob den Zettel auf.
„Verzeihung!“
Halfdan sah ernst und lange auf die ungleichmäßigen Bleistiftzeichen. Er schüttelte den Kopf. In dieser Nacht hatte er zuviel gelitten, als daß alles mit dem kleinen Wort „Verzeihung“, das ihm da unter die Tür geschoben wurde, vergessen sein konnte.
Aber es tat ihm doch wohl.
Die Stimmung beim Frühstück am nächsten Morgen war freundlich. Eirin hatte sorgfältig darauf geachtet, daß Halfdans Ei richtig gekocht und der Kaffee heiß genug war. Auf Tante Berthas Vorschlag holten sie die Weihnachtsgeschenke an den Tisch und verteilten sie - schöne, amüsante und nützliche Geschenke. Sie dankten lächelnd einander und freuten sich, wie eben erwachsene, wohlerzogene Menschen, die schenken und empfangen, sich bedanken und freuen.
Halfdan schlug einen Spaziergang vor. Der Sturm war abgeflaut. Es war schneidend kalt.
Tante Bertha wollte lieber zu Hause bleiben. Aber Eirin zog die neue Jacke an und ging mit Halfdan fort - er in dem Pullover, den sie für ihn gestrickt hatte.
Sie sprachen nicht viel auf dem Weg zum Landungssteg
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