Schwester Lise
angenommen habe!“
Tante Bertha löschte die Lichter am Baum. Eirin stand stumm und regungslos und folgte der Tante mit den Augen. Diese schritt ruhig zum Klavier und blies auch die Kerzen in den dreiarmigen Leuchtern aus. Dann ging sie in die Küche und nahm den Braten aus dem Herd. Kurz darauf hörte Eirin schwere Schritte auf der Treppe. Die Tante ging in ihr Zimmer hinauf.
Da kauerte sich Eirin im Sofa vor dem Ofen zusammen. Wut und Erregung schwanden. Zurück blieb ein trostloses Gefühl der Verlassenheit. Allmählich kroch die Reue in ihr hoch. Sie lehnte den Kopf gegen die Sofalehne, und dann kamen die Tränen.
Holzscheite im Ofen sanken zusammen und wurden zu Glut. Eirin fror in ihrer Sofaecke. Wie lange sie so zusammengekauert gesessen hatte, wußte sie nicht, aber ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. Es kostete sie Anstrengung, sich so weit vorzubeugen, daß sie neues Brennholz auf die Glut legen konnte. Sie wimmerte leise. Ihr ganzer Körper war steif vom Sitzen.
Wo Halfdan jetzt wohl war? Ob er Norderpollen schon erreicht hatte? Konnte er Elvina helfen? Wer weiß, vielleicht war das Kind gekommen und alles in Ordnung, ehe Halfdan eintraf?
Ein ohnmächtiger Haß gegen Elvina stieg in Eirin hoch. Diese Elvina! Hier war sie gewesen und hatte Trost und Hilfe erhalten! Ihretwegen hatte sie Schüchternheit niederkämpfen müssen. Man hatte ihr die Hand gehalten und ihr in jeder Weise beigestanden. Und dieser Elvina sollte es gestattet sein, ihnen den Heiligabend zu verderben? Oh, es war so ungerecht, so gemein, so abscheulich! Dieser Person hatte sie es jetzt auch noch zu verdanken, daß sie sich vor Halfdan schämen und sich von ihrer Tante ohrfeigen lassen mußte!
Die bösen, häßlichen Worte, die sie hinter Halfdan hergerufen hatte, ach, die waren doch nicht so gemeint gewesen! Sie war eben außer sich vor Enttäuschung. Aber das entschuldigte ihr Verhalten nicht. Sie nahm sich vor, Halfdan um Verzeihung zu bitten. Ja, sie würde ihm erklären, daß - ja, was würde sie denn erklären? Gab es für ihr Benehmen überhaupt eine Entschuldigung? Gab es eine Erklärung, die Halfdan anerkennen würde?
Großer Gott - was mochte sie in ihrer hemmungslosen Wut angerichtet haben! Am Ende hatte sie ihre ganze Zukunft zerstört, und die Halfdans dazu! Und alles nur, weil sie Halfdan ganz für sich haben wollte, und nur weil sie ihn so liebhatte!
War es wirklich so? Eine innere Stimme mahnte: Du hast dich selbst so lieb! Du bist eine große Egoistin, und du bist gar keine Arztfrau. Lerne erst einsehen, daß du selbst erst in zweiter Linie kommst! Lerne Nächstenliebe! Lerne Opferwillen! Du wurdest heute abend auf eine harte Probe gestellt. Und du bist jämmerlich durchgefallen. Schäm dich, Eirin!
Ein Windstoß riß und zerrte am Haus. Ein klirrendes Geräusch folgte. Ein Dachziegel hatte sich gelöst und zerschellte auf dem Pflaster.
Eirin zuckte zusammen. Plötzlich bangte sie um Halfdan. Sie sah ihn vor sich, wie er im Boot saß, in den dicken Mantel gehüllt, die Pelzmütze auf dem Kopf. Vielleicht dachte er an sie und schämte sich ihretwegen.
Eirin warf sich auf das Sofa und schluchzte in ein Kissen. Tante Bertha im südlichen Giebelzimmer hörte das Weinen. Sie war hellwach. Kein Auge hatte sie zugetan.
Ganz steif lag sie in ihrem Bett und lauschte. Auch sie kämpfte mit sich. Eirins Jammer zerschnitt ihr das Herz. Sollte sie zu ihr hinuntergehen, sie in den Arm nehmen und ihr die Tränen trocknen, sie trösten, ihr gute Worte zuflüstern?
Das Schluchzen da unten wollte kein Ende nehmen. Jetzt ging es allmählich in ein Wimmern über. Nein, kleine Eirin! Du erhältst keine Hilfe! Diese Nacht mußt du allein durchstehen. Vielleicht ist dies die Stunde, die dich zur Frau reifen läßt. Du mußt jetzt lernen, Halfdan eine Gattin zu sein. Diesen Abend wirst du nie vergessen -und du darfst ihn auch nicht vergessen! Du wirst dem lieben Gott für diese bittere Lehre noch einmal Dank wissen.
Tante Bertha schloß die Augen und faltete die Hände. Und während Eirin ihre eigene Torheit beklagte, betete sie für den, der in dieser Sturmnacht draußen war, und für die, die dort unten lag und weinte.
Die Stunden vergingen.
Eirin schritt im Zimmer auf und ab. Sie lief zum Fenster. Draußen stand die Finsternis wie eine schwarze Mauer. Der Wind heulte im Schornstein. Im Raum war es so kalt, daß Eirin die Zähne aufeinanderschlugen. Sie wandte sich zur Tür, um ihre Strickjacke aus dem Flur zu holen. Da stolperte
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