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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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hinunter, einem der wenigen Wege, die sie gehen konnten.
Sie wechselten ein paar Worte über das Wetter, die
„Ach so, es handelt sich um Frau Ervik“, sagte die
Zeit flog dahin, während sie beisammensaßen und ih

Sie wechselten ein paar Worte über das Wetter, die Praxis, das Mittagessen, sie begrüßten ernst dreinschauende Fischer im Feiertagsstaat und kleine Kinder mit neuen Kappen und Fausthandschuhen.
    „Hat Elvina einen Jungen bekommen oder ein Mädchen?“ fragte Eirin unvermittelt.
    „Einen Jungen. Er war schon da, als ich kam.“
    Eirin blickte auf. Die Antwort klang sachlich und trocken.
    „Bevor du kamst -?“
    „Ja.“ Halfdan schwieg wieder. Aber dann sagte er - und jetzt mit erhobener, fester Stimme:
    „Es ist besser zu kommen, wenn man nicht gebraucht wird, als gebraucht zu werden, wenn man nicht kommt.“
    Eirin gab keine Antwort. Wieder wollte Bitterkeit in ihr aufsteigen. Also war es nicht ganz unberechtigt gewesen, was sie gestern abend unbeherrscht herausgeschrien hatte. Elvina hätte sich auch ohne Halfdan behelfen können, und im Doktorhause sähe es heute anders aus! Aber tief in ihrem Innern sagte eine Stimme: „Man erringt nicht das Glück, indem man den Prüfungen aus dem Wege geht, sondern indem man sie besteht!“
    Sie standen am Kai und sahen aufs Meer. Kalte grauschwarze Wellen spielten mit den Ufersteinen. So spielten auch die Wellen des Mittelmeeres - aber sie waren blau!

8
    Tante Bertha machte sich Sorgen. Sie mochte den Ton nicht, der im Hause herrschte. Die ganze Atmosphäre paßte ihr nicht. Das Schwierige war, daß sie keine Gelegenheit fand einzugreifen. Äußerlich ging alles glatt. Halfdan und Eirin waren freundlich, höflich, gefällig und aufmerksam zueinander. Eirin stand zeitig auf und kam ihren Pflichten mit einer Aufmerksamkeit nach wie nie zuvor. Sie war hilfsbereit und fleißig. Wenn keine Sprechstunde war, stopfte sie Halfdans Strümpfe und hielt seine Sachen in Ordnung. Oft ging sie in die Küche und bereitete noch etwas Gutes für ihn. Halfdan war dankbar für alles, was sie tat, und er versäumte nie, sie zu loben, wenn sie es verdiente. Er ermahnte sie, ihre täglichen Spaziergänge zu machen, er verordnete ihr Eisen, weil er fand, sie sei zu blaß und blutarm. Ja, sie waren sehr nett zueinander! Tante Bertha wußte auch, warum: Sie empfanden nicht mehr die rückhaltlose, unbekümmerte, beglückende junge Liebe, die es sich auch einmal leisten kann, etwas nachlässig und unaufmerksam zu sein. Seit jenem Weihnachtsabend taten sie alles bewußt und überlegt. Die gegenseitigen Beweise ihrer Liebe glichen höflichen Gesten. Ihrem innersten Gefühl, ihren Gedanken und Worten fehlte die Wärme. Sie bildeten keine glückliche Einheit mehr, die drei Menschen, die so ganz aufeinander angewiesen waren. Sie waren drei einsame Einzelwesen, jedes an seinem Platz, jedes allein mit seinen Sorgen und Problemen.
    Die Wandlung offenbarte sich bei Eirin am stärksten: Vor wenigen Wochen noch das „Kind“ im Haus mit all seiner Unberechenbarkeit und Impulsivität, mit seinem Schmollen und seinem fröhlichen Lachen, war sie jetzt plötzlich eine ruhige, beherrschte und etwas zurückhaltende erwachsene Dame.
    „Der Kuckuck hole sie beide“, brummte Tante Bertha. Sie stand in der Küche und schlug Schlagrahm für den sonntäglichen Nachtisch. Sie schlug so kräftig zu, daß die Sahne umherspritzte. „Diese Dickschädel! Hier tagaus und tagein herumzugehen und sich gegenseitig eine widerwärtige Komödie vorzuspielen - Prügel müßten sie haben, die beiden eigensinnigen Kinder! Mit jedem Tag werden sie dünner und blasser. Sie vergessen, daß der liebe Gott ihnen die Sprache geschenkt hat, damit sie sich einander verständlich machen können. - Die Schafsköpfe!“
    Tante Bertha stellte die Schale mit der Creme beiseite, wusch den Schläger ab und fuhr damit mehrmals durch die Luft, damit das Wasser abtropfte. Am liebsten hätte sie das Gerät „den beiden eigensinnigen Kindern“ um die Ohren geschlagen.
    Halfdan war von seinen Krankenbesuchen zurückgekehrt und saß in seinem Behandlungszimmer, den Kopf in die Hände gestützt. Er war müde und mutlos. Schien es nicht so, als habe er das große Opfer umsonst gebracht? Statt nach Frostviken zu gehen und sich hier in schwerer, aufreibender Arbeit zu begraben, hätte er im Krankenhaus als Brattholms Assistent bleiben und eines Tages Stationsarzt werden können. Mit der Zeit wäre er einer der ersten Chirurgen des Landes

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