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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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der Welt, vor einem „Chef“, der ihr Bemühen schätzte, der sie lobte, der ihr dankte und der sie bedauerte, wenn sie zuviel zu tun hatte - vor diesem Mann war sie wie ein nichtsnutziges, eigensinniges Kind einfach davongelaufen!
    Und hier! Hier waren die strengen Augen der Ärzte, das Geschimpfe der Stationsschwester, die Zurechtweisungen der Oberschwester. Hier war ein Arzt ein unnahbarer Gott und nicht ein netter Kamerad; die Oberschwester war eine Unter-Gottheit und nicht ein Mensch, dem gegenüber man sich ein Lächeln herausnehmen konnte; die Stationsschwester wieder war ein unbestimmbares Wesen, mit der die Oberschwester und Ärzte zanken konnten, was sie ihrerseits wieder wettmachte, indem sie das Geschimpfe an die jüngeren Schwestern weiterleitete. Am schlimmsten waren die grünsten Lernschwestern dran. Und am allerschlimmsten, vielleicht, Eirin selbst.
    „Schwester Lise! Pst! Komm schnell mal rein!“
    Das lächelnde, rotbäckige Gesicht in dem Türspalt gehörte Schwester Doris, der vergnügtesten und lachlustigsten von allen Lernschwestern. Sie und Schwester Ilse bewohnten das Zimmer gleich neben Eirin und Inga. „Mach schnell, du kriegst was Gutes!“ Eirin hatte gerade die kleine weiße Haube abgenommen und hielt sie in der Hand. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, blieb einen Augenblick stehen und preßte sie gegen die Schläfen. Wenn sie nur nicht so unbeschreiblich müde wäre!
    Sie schlüpfte zu Doris und Ilse hinein. Das Zimmer war voll von Schwestern. Auf den Betten, den Stühlen, die aus andern Zimmern geholt waren, saßen junge Mädchen, alle in blauer Schwesterntracht, alle mit weißen Schürzen und steifen Kragen. Sie schnatterten, was das Zeug hielt, nicht allzu laut, aber trotzdem munter und lebhaft.
    Mitten auf dem Tisch prangte eine Riesenschüssel mit Obst: Äpfel und Apfelsinen, Trauben und Bananen, Datteln, Feigen, Kiwis
    - und zwischen die Früchte war Konfekt in buntem Stanniol gesteckt.
    „Ihr müßt nämlich wissen“, erklärte Doris wichtig, „Ilse und ich haben in der Lotterie gewonnen. Fünfzig Kronen! Und da kam Ilse auf den Gedanken - “
    „Nein, wir kamen beide drauf“, berichtigte die kleine Ilse sanft.
    „Sei still, Ilse. Du hast jetzt nicht das Wort. Ilse kam auf den Gedanken, wir sollten das Geld dafür anlegen, uns hier heute einen gemütlichen Abend zu machen - und darum, bitte sehr, meine Damen, langt zu! Es sollte eigentlich Torte und Wein geben, aber ihr wißt ja, wenn wir keine Gläser haben, dann - könnt ihr nicht den Drachen geradezu hören: ,Schwester Ilse! Darf ich fragen, was Sie sich dabei gedacht haben, einfach Geschirr aus der Station wegzunehmen?’“
    Sie brachen alle in Gelächter aus, die müden jungen Mädchen. Schwester Doris konnte die Stationsschwester Eldrid in Stimme und Tonfall so getreu nachahmen, daß sie sich schier ausschütten wollten.
    Obst und Konfekt verschwanden wie Schnee vor der Sonne. Keine übte Bescheidenheit. Die anstrengende Arbeit, die diese jungen Dinger leisteten, sorgte für einen unstillbaren Hunger. Und wenn es „etwas Gutes“ gab, wurden sie geradezu gefräßig.
    Doris behauptete lachend, jede Öre, die sie besaß, wandere in den Obstladen unten an der Ecke, und Eirin gestand, daß sie abends nicht einschlafen könne, wenn sie nicht ein kleines Stückchen Schokolade aß.
    Die meisten gehörten zu Eirins Jahrgang, aber es waren auch ältere dabei. Die älteste war Schwester Nina, ein schönes, ruhiges, wortkarges Mädchen von sechsundzwanzig Jahren. Sie hatte noch elf Monate abzuleisten, dann war sie fertig ausgebildete Krankenschwester.
    „Ich komme mir vor wie in einem Mädchenpensionat“, lachte Doris. „Ich habe das Gefühl, jeden Augenblick könnte eine schimpfende Lehrerin in der Tür stehen - “
    „Das wäre die richtige Rolle für Schwester Eldrid“, stellte Eirin fest. „Ich würde mich nicht wundern, wenn sie plötzlich hier auftauchte und mit dem Stock drohte!“
    „Doris hat schon recht“, bestätigte Inga und steckte nachdenklich ein großes Stück Konfekt in den Mund. „Ich habe viele Jahre ganz selbständig auf dem Hof zu Hause gearbeitet. Ich habe Mädchen und Knechte unter mir gehabt, ich war seit meinem sechzehnten Lebensjahr Hausfrau. Da ist es wirklich doch etwas komisch, wenn man plötzlich wieder ein kleines Schulmädchen sein soll, das Angst vor einem Tadel hat.“
    „Weshalb machst du denn diese Krankenpflege?“
    Inga zögerte mit der Antwort und wurde rot.
    „Mein

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