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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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praktischer Arzt in Oslo gewesen wäre, wenn er dort nur eine ganz bescheidene kleine Praxis gehabt hätte, so klein, daß sie gerade davon hätten leben können -das wäre etwas anderes gewesen! Oder wenn er als Stationsarzt im Krankenhaus geblieben wäre. Hätte er sich doch nie um die Stellung in Frostviken beworben! Mußte es ausgerechnet dieses finstere Frostviken sein, konnte er nicht irgendwo im Süden Kreisarzt werden, in einer weiten, sonnigen, fröhlichen Landgemeinde im Osten des Landes oder sonst irgendwo, wo es freundliche, heitere, lächelnde Menschen gab?
    Sie rief sich zur Ordnung. Was träumst du von dem, was hätte sein können! Du gehst den Schwierigkeiten aus dem Wege, anstatt sie zu überwinden.
    Was sitzt du herum und fängst Grillen! Entweder du kapitulierst, oder du nimmst den Kampf auf. Was also?
    Wenn sie Halfdan wiederbegegnen wollte, dann mußte es auf einer ganz anderen Ebene sein: Er mußte Achtung vor ihr haben können. Und da Halfdan Arzt war, galt es, ihm auf seinem Arbeitsgebiet durch Verständnis, Interesse und kenntnisreiche Mitarbeit zu imponieren.
    Plötzlich war Eirin klar, was sie zu tun hatte: Sie mußte versuchen, in einem Krankenhaus als Lernschwester anzukommen, und sich in der Krankenpflege ausbilden lassen. Sie mußte, koste es, was es wolle, gerade das auf sich nehmen, dem sie in Frostviken hatte entfliehen wollen. Sie mußte anfangen, Selbstbeherrschung zu üben, und lernen, gegen Abscheu und Widerwillen anzukämpfen. Sie mußte sich überhaupt erst einmal mit der Arbeit befreunden!
    Sie reckte sich. Mit einemmal erschien ihr die Welt freundlicher. Sie hatte eine Aufgabe, ein Ziel, auf das sie lossteuern konnte.
    Am selben Abend kam Oskar, um Cilly zu besuchen. Eirin fragte ihn um Rat. Am nächsten Tag ging ihr Gesuch mit der Post nach dem Süden, mit allen notwendigen Papieren und Bescheinigungen.
    Sie saßen im Palmengarten. Eirin wiegte den Kopf im Takt der Musik leise hin und her. Da fiel ihr ein Abend vor mehr als drei Monaten ein, ein Abend an Bord, als sie mit einem braungebrannten Mann mit lustig funkelnden Augen Tango getanzt hatte, denselben Tango, der jetzt gerade gespielt wurde. - Auch das hatte sie zu sühnen!
    Ihr wurde heiß und kalt bei dem Gedanken, was Halfdan sagen würde, wenn er von diesem Abenteuer wüßte. Ja, sie hatte schon eine gehörige Portion Dummheiten, manche Kopflosigkeit vollbracht und viel Versäumtes nachzuholen!
    Jetzt aber hieß es vorwärtsschauen! Sie hob den Kopf und sah unternehmungslustig zu der Freundin hinüber.
    „Du lächelst so siegesgewiß, Eirin“, lachte Cilly.
    „Ja“, sagte sie. „Denn jetzt weiß ich, welchen Weg ich einschlagen muß.“
    Lieber Halfdan!
    Ich danke Dir für Deinen Brief. Ich kann nicht sagen, was mich erfüllt, denn ich kann es mir nicht einmal selbst klarmachen. Du sollst nur wissen, daß ich Dich liebhabe, immer, und ich will versuchen, mich Deiner Liebe würdig zu erweisen.
    Versuche nicht, mit mir in Verbindung zu kommen. Ich werde Dir hin und wieder schreiben, damit Du siehst, daß ich Dich nicht vergessen habe. Ist etwas besonders Wichtiges mitzuteilen, dann kannst Du den Brief an Cilly schicken, sie leitet ihn dann weiter.
    Ich hoffe, Tante Bertha bleibt bei Dir. Du brauchst sie sehr. Sie ist treu und gut - sie versagt .nicht, sie geht nicht auf und davon, wie
    ich es getan habe. Aber eines Tages komme ich zu Dir zurück. Es kann schnell gehen oder auch lange dauern - aber ich komme.
    Eirin

10
    „Schwester Lise! Laufen Sie mal in die Abteilung hinauf und holen Sie das Päckchen, das links im Arzneimittelschrank liegt. Und bitte etwas schneller als sonst! Es ist wirklich ein Skandal, wie trödelig Sie sind. Immer haben Sie ganz andere Dinge im Kopf. So laufen Sie doch schon!“ Eirin fiel das Herz in die Schuhe. Vor niemandem hatte sie solche Angst wie vor Dr. Marit Claussen. Sie war sehr nett, die Dr. Claussen, aber streng.
    Eirin flog die Treppe zur Station hinauf. Diese Treppe hatte viele Stufen, und wenn man müde und abgehetzt war, schienen sie überhaupt kein Ende zu nehmen.
    Jetzt stand sie vor dem offenen Arzneimittelschrank und holte das Päckchen heraus. Es war ein abgehackter Fuß, und er blutete, und das Blut rieselte ihr über die Schürze und rann ihr über die Hände.
    Da klingelte es von Nummer drei. Das war der große Krankensaal. Jetzt hieß es rennen. Was sollte sie bloß mit dem widerwärtigen blutenden Fuß machen? Schon wieder die Klingel! Sie mußte nach Nummer

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