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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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drei, aber sie konnte doch nicht den amputierten Fuß mitnehmen! Sie kämpfte verzweifelt, sie rannte mit dem Fuß in der Hand wie von Sinnen im Korridor herum - und die ganze Zeit klingelte es. Klingelte, klingelte - „Schwester Lise! Hörst du’s denn nicht - du mußt aufstehen!“
    Eirin richtete sich schlaftrunken im Bett auf. Sie streckte den Arm aus und stellte den Wecker ab. Ihre Zimmergefährtin, Schwester Inga, stand schon am Waschbecken.
    Eirins Körper war schwer wie Blei. Dazu dieser ekelhafte Traum!
    Sonntag hatte sie freigehabt. Sie war den ganzen Tag im Bett geblieben, hatte sich nicht einmal angezogen, um zu den Mahlzeiten hinunterzugehen. Sie hatte etwas Obst und Kuchen gegessen, und abends hatte Schwester Inga ihr ein Zuckerei gerührt. Die übrige Zeit hatte sie geschlafen - von Samstag abend bis Montag morgen.
    Heute war Mittwoch, und sie war noch immer müde.
    Sie erlistete sich noch drei Minuten Bettruhe - bis Schwester Inga mit dem Waschen fertig war, sagte sie wie zur eigenen Rechtfertigung zu sich selbst.
    Fast einen Monat war sie jetzt im Krankenhaus. Einen Monat lang hatte sie diese Schufterei schon ausgehalten. Sie konnte nicht begreifen, wie die älteren Schwestern es fertigbrachten, neben der Arbeit noch zu lesen oder zu plaudern und sich’s abends auf ihren Zimmern gemütlich zu machen, wie sie sich sonntags feste Schuhe und ein Sportkostüm anziehen und Spazierengehen konnten. Ihre eigenen Füße schmerzten sie so, daß sie gern darauf verzichtete, an ihren freien Tagen zu ihrem Privatvergnügen herumzulaufen.
    Sie hatte sich hier Louise genannt. Da sie wirklich Louise hieß, hatte sie durchaus das Recht dazu. Aber „Louise“ war schon am ersten Tag zu „Lise“ geworden. Fräulein Eirin, die Verlobte des Kreisarztes, war eine müde und tolpatschige kleine Krankenschwester in einem großen Krankenhaus, nur eine kleine, unansehnliche Nummer in einer langen Reihe von uniformierten Krankenschwestern im ersten Jahr der Ausbildung; nur eine kleine Schwester Lise, die niemand kannte, auf die die Stationsschwester schimpfte, über die Frau Dr. Claussen spöttelte und die den Kolleginnen leid tat. „Lise, du mußt aber hoch jetzt!“
    Inga war fix und fertig angezogen. Sie war stark und frisch, die Inga, ein dralles Bauernmädchen, das daran gewöhnt war, zwölf bis vierzehn Stunden am Tage schwer zu arbeiten und zu rennen, und die ihr ganzes Leben lang vor sechs Uhr morgens aufgestanden war.
    Für Eirin gab es in diesem Wirbel nichts, worauf sie sich freuen konnte. Seufzend betrachtete sie ihre Hände. Sie waren rot und rissig. Und gleich mußten sie wieder in starker Seifenlauge planschen. Fußböden mußten gewischt, Spuckgläser und Uringläser geleert und abgewaschen werden; all die endlosen, weißlackierten Flächen warteten auf das Staubtuch, obwohl nicht ein einziges kleines Staubkörnchen zu sehen war; die Blumen der Patienten wollten frisches Wasser haben - und das nannte man nun Krankenpflege!
    Und dann gab es Unterricht in Krankheitslehre und Stunden in Physiologie und Anatomie. Eirin kam sich vor wie ein kleines Schulmädchen mit ständig schlechtem Gewissen. Dr. Claussen unterrichtete die Schülerinnen in Anatomie. Dabei hatte sie so eine unangenehme Art, sie abzufragen! Selbst wenn sie sich einbildeten, sie könnten die Aufgaben wie am Schnürchen, stellte Frau Dr. Claussen die Fragen doch immer so, daß sie sich verhedderten. Eirin hörte sich die lateinischen Namen selbst ab, während sie Decken glattstrich und Kissen aufschüttelte, Becken hinaustrug und Fußboden scheuerte.
    Sie arbeitete in der Frauenstation der medizinischen Abteilung.
    Hatte sie jemals geglaubt, die Krankenpflege bestehe darin, liebevoll mit dankbaren Patienten umzugehen, dann hatte sie sich geirrt. Krankenpflege - das hieß soviel wie rennen. Treppen raufund Treppen runterrennen, durch endlose Flure; rennen, wenn die Klingeln schrillten und rote Lampen über weißen Türen aufflammten. Zum Mittagessen rennen, vom Tisch wegrennen, morgens von der Schülerinnenstation hinunterrennen in die Abteilung, von der Abteilung in die Unterrichtsräume. Mit Tabletts rennen, mit Blumensträußen, mit Becken und Spritzen. Die Beine schmerzten, die Fußsohlen brannten vor Müdigkeit. Mitunter hatte sie das Gefühl, als sollte ihr Kreuz mittendurch brechen.
    Ihre Gedanken flogen zuweilen nach Frostviken. Unfaßbar, daß sie als Halfdans Sprechstundenhilfe versagt hatte! Vor dem besten, rücksichtsvollsten Mann

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