Schwester Lise
„Spucknäpfe sind schlimmer - und Schläuche zum Magenauspumpen! “
„Eirin! Du konntest das?“
„Hm - ja, ich konnte es. Doch - uff, ich wollte eigentlich nicht davon reden - aber da wir jetzt doch darauf gekommen sind: Hast du schon einmal weiße Knochensplitter gesehen, die aus der Haut raussteckten, oder ein Blutgefäß, das geplatzt ist, so daß das Blut rieselt und rieselt und die Kleider tränkt, schwere, dreckige Arbeitskleider, weißt du, und - “
„Eirin! Hör auf!“
Eirin lächelte. „Ja, genau das habe ich gesehen. Ich habe aufgehört. Und deswegen bin ich jetzt hier.“
Cilly drückte sie an sich. Dann fragte sie vorsichtig:
„Aber Eirin - du hast Halfdan lieb - nicht wahr?“
„Wenn ich ihn nicht liebhätte, wäre die ganze Geschichte kein Problem.“
Wenn Cilly morgens im Büro war, machte Eirin das Zimmer, lüftete und wischte Staub und bohnerte den Fußboden. Dann ging sie in die Stadt und kaufte ein. Sie hatte das Essen fertig, wenn Cilly nach Hause kam.
„Ich glaube, ich stelle dich als Alleinmädchen an“, lachte Cilly. „Du verwöhnst mich.“
Eirin war nachdenklich. Sie wohnte jetzt über eine Woche bei Cilly. An Tante Bertha hatte sie telegraphiert, wo sie sei und daß alles in Ordnung wäre. Und heute hatte ein Brief von Halfdan im Postkasten gelegen.
Sie getraute sich kaum, ihn aufzumachen. Weit, weit weg waren all ihre gemeinsamen guten Stunden, die lichten Zukunftspläne, die traulichen und gemütlichen Abende vor dem Ofen im Winter.
Sie sah nur immer wieder ein blasses, trauriges, enttäuschtes Gesicht vor sich und hörte eine Stimme, die sagte: „Eirin, ich schäme mich deinetwegen!“, und dasselbe Gesicht, das weiß vor Zorn gewesen war, und dieselbe Stimme, die gedonnert hatte: „Mach, daß du rauskommst!“
„Hysterisches Frauenzimmer“ hatte er sie genannt.
„Verhätschelte Zimperliese.“
Oh, wie war er ungerecht! Sie hatte doch getan, was sie konnte. Mehr konnte sie einfach nicht! Dennoch meldete sich wieder das Gewissen: War ihre Liebe zu Halfdan nicht groß, nicht stark genug, um sie diesen einen dunklen Winter in Frostviken durchstehen zu lassen?
Was Halfdan wohl schreiben mochte?
Sie wog den Brief in der Hand. Er war dünn und leicht.
Da riß sie den Umschlag mit zitternden Fingern auf.
„Liebe Eirin!
Verzeih mir, daß ich heftig gegen Dich war.
Verzeih meine unüberlegten Worte. Was auch geschehen mag, ich werde Dich immer liebhaben.
Halfdan.“
Sie las die Worte wieder und wieder. Er gab zu, heftig gewesen zu sein und daß seine Worte unüberlegt waren. Aber er sagte nichts davon, daß sein Verhalten unberechtigt war!
Eirin saß zusammengekauert auf dem Rand des Sofas. Schmerz, Scham, Sehnsucht, Ungewißheit quälten sie. Ihr graute vor dem einsamen, unwirtlichen Frostviken, und doch sehnte sie sich danach, die Arme um Halfdans Hals zu legen und ihm über die mageren Wangen zu streichen.
Die Uhr tickte. Minuten und Stunden vergingen. Eirin merkte es nicht. Sie begriff selbst nicht, was in ihr vorging. Sie wußte nur, daß sie sich jetzt mit sich selbst auseinandersetzen mußte. Liebte sie Halfdan? - Ja, das war sicher.
Aber Halfdan war Arzt. Und er war so verbunden mit seiner Arbeit, daß sie, die ihr Leben an das seine binden wollte, für seine
Arbeit Verständnis aufbringen, ja, ihm in einer schwierigen Lage auch dabei helfen mußte. Sie aber hatte es versucht und war daran gescheitert. Sie hatte kläglich versagt!
Eirin erschrak bei dem Gedanken, Halfdan wiedersehen zu müssen. Sollte sie je zu ihm zurückkehren, so gab es nur diesen einen Weg: sich vor ihm und vor sich selbst gründlich zu bewähren. Es war nicht damit getan, ein hübsches kleines Schmeichelkätzchen zu sein; es war albern, nur zu schnurren und das Gesicht an seiner Schulter zu verstecken. Wenn sie wieder vor ihn hintreten wollte, so mußte sie eine erwachsene Frau sein, verantwortlich und verständig
- und mit Kenntnissen ausgerüstet. Sie mußte den Nachweis erbringen, daß sie imstande war, ihm bei seiner Arbeit zu helfen.
Wenn doch Tante Bertha hier gewesen wäre! Keiner konnte so wie sie verzwickte Knoten entwirren und zur rechten Zeit den rechten Rat geben. Aber Tante Bertha war nicht da. Seltsam, gerade jetzt mußte Eirin allein sein, da sie vor diesem schwierigen Problem stand, jetzt, da ihre und Halfdans Zukunft und ihr Glück auf dem Spiele standen. Das Schicksal hatte die Entscheidung in ihre Hände gelegt.
Wenn Halfdan nur ein gewöhnlicher
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