Schwester Lise
und sogar ein gewisses Talent als Operationsschwester, so daß der Oberarzt auf sie aufmerksam wurde.
Trotz des „Maulkorbs“, der das halbe Gesicht verdeckte, hielt sie eisern durch und folgte aufmerksam jeder Bewegung der Ärzte. Nach kurzer Zeit kannte sie jede Phase der einzelnen Operationen auswendig. Sie wußte genau, wann der Arzt die entsprechenden Instrumente brauchte. Sie vergaß nie einen Gegenstand, wenn sie den Operationssaal herrichtete. Diese Arbeit zog sie ganz in ihren Bann.
Oft genug fanden ihre Gedanken beim Anblick des großen weißen, modernen Saales den Weg zu Halfdan, für den ein solcher Arbeitsplatz der Himmel auf Erden gewesen wäre. Ja, das wäre etwas für ihn, den leidenschaftlichen Chirurgen, gewesen, unter solchen Verhältnissen arbeiten zu dürfen, anstatt sich da oben in Frostviken bei der Petroleumlampe am Mikroskop die Augen zu verderben.
Bei solchen Überlegungen wurde sie wieder bitter. Denn noch immer wartete sie vergeblich auf einen Brief von Tante Bertha. Dieses beharrliche Schweigen bestärkte sie immer mehr in der Annahme, Halfdan sei verheiratet und Tante Bertha brächte es nicht über sich, ihr das mitzuteilen. Dabei war sie doch sonst so geradeheraus!
Oberarzt Dr. Randers zog die Gummihandschuhe aus. Eirin half ihm aus dem Operationsmantel. Der Arzt streifte die Kappe ab und fuhr sich übers Haar.
„Vielen Dank, Schwester.“
Er kramte in der Tasche nach dem Zigarettenetui. Es war eine feste Regel, daß der Doktor nach einer Operation eine Zigarette haben mußte.
Eirin hielt die Zündhölzer bereit.
„Vielen Dank, Schwester Lise.“
Er tat einen Zug und sah sie an.
„Na, fühlen Sie sich denn noch immer wohl hier im Operationssaal?“
„Ja, sehr. Die Arbeit ist interessant!“
„Ich merke, daß sie Ihnen liegt. Sie sind tüchtig, Schwester Lise. Machen Sie weiter so, dann werden Sie einmal die ideale Operationsschwester! - Aber - da klingelt das Telefon -, wollen Sie so freundlich sein, Schwester? Wenn es für mich ist, dann erkundigen Sie sich, wer am Apparat ist.“
Eirin ging ans Haustelefon. Sie lauschte, und plötzlich zitterten ihr die Knie.
„Ein Ferngespräch, Herr Doktor. Aus Fr... - Frostviken.“
„Frostviken? Ah ja, gut, ja. Lassen Sie’s ins Sprechzimmer umstellen.“
Der Chef verschwand mit langen Schritten, und Eirin gab der Zentrale über das Haustelefon Anweisung, die Verbindung herzustellen.
Dann legte sie ihre Operationskleidung ab und trat auf den Gang hinaus. Sie hatte jetzt eine Freistunde. Schwester Ilse hatte gleichfalls Dienst und räumte im Operationssaal auf.
Als sie an der Sprechzimmertür des Oberarztes vorbeigehen wollte, stockte sie. Er sprach mit Rücksicht auf die Fernverbindung so laut, daß sie jedes Wort verstehen konnte.
Eirin wußte sofort: Es gab in Frostviken nur einen einzigen Menschen, der einen Grund hatte, hier einen der tüchtigsten Chirurgen des Landes anzuläuten. Sie hatte mit einemmal das Gefühl, daß Halfdan ganz nahe war. Nur ein paar Meter von ihr entfernt, jenseits der weißen Tür, saß ein Mensch und sprach mit ihm.
Eirin dachte nicht darüber nach, was sie tat. Wie festgenagelt blieb sie stehen, lehnte sich gegen die Tür und preßte das Ohr an die Türritze.
„Ja, das ist ganz richtig, Hoek. - Nein, keine Ursache, es war nett, daß Sie mich gefragt haben. - Doch, ich würde an Ihrer Stelle das gleiche getan haben. Ich denke, daß es gut ausgehen wird. Haben Sie eine tüchtige Helferin? - Das ist großartig, dann schaffen Sie es sicher. Wie geht es da oben in der Wildnis? So, Sie fühlen sich wohl, nein, wirklich? Jetzt kommen Sie doch hoffentlich bald mal in den
Süden, wenigstens auf einen kleinen Sprung! -Ja, Sie können es leicht dort aushalten, aber was sagt denn Ihre Frau - “
Eirin hatte das Gefühl, als würde sie ohnmächtig. Also darum hatte Tante Bertha nicht geschrieben! Und Halfdan war zu feige, es ihr mitzuteilen.
Die Knie wankten ihr. Da fühlte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter und hörte eine Stimme:
„Schwester Lise!“
Es war die Oberschwester. Die Oberschwester war eine prachtvolle Frau. Aber sie konnte zur Furie werden, wenn ihr etwas gegen den Strich ging.
Jetzt war es soweit. Sie war schneeweiß im Gesicht, und ihre Nasenflügel bebten, als sie sagte:
„Verlassen Sie sofort den Dienst! Das ist mir doch wahrhaftig noch nicht vorgekommen, daß eine Schülerin an den Türen horcht. Ich weiß nicht, was wir mit Ihnen machen werden, aber ich will
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