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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Augen brannten groß und angstvoll - der ganze zarte Körper bebte.
    Frau Dr. Claussen war keine ausgesprochene Psychologin. Aber sie war ein guter und kluger Mensch und eine tüchtige Ärztin. Und man brauchte nicht Professor für Psychologie zu sein, um zu begreifen, daß Schwester Lise in diesem Augenblick ein verzweifeltes Bedürfnis nach menschlicher Hilfe hatte.
    Frau Dr. Claussen nahm sie wortlos um die Schulter und führte sie mit sich die Treppe hinunter in den Krankenhausgarten. Erst als sie die kleine Anlage mit Bänken und Tischen erreicht hatten, blieb die Doktorin stehen.
    Eirin nickte und räusperte sich. Dann kam es leise, heiser und gequält: „Ich habe ganz frei - für immer.“
    „Aha!“
    Die Ärztin setzte sich und zog Eirin neben sich auf die Bank. Sie kramte in den Taschen und holte Zigarettenetui und Zündhölzer hervor.
    „So, Schwester Lise - ich habe eine Stunde Zeit. Was ist los? Keine unnützen Einleitungen! Sie brauchen Hilfe. Ich möchte Ihnen helfen. Reden Sie!“
    Dieser kurze, klare Befehlston war genau das, was Eirin brauchte. Sie lehnte sich zurück, starrte in die Luft.
    „Dann möchte ich Sie bitten, Frau Doktor, diese Aussprache als eine Konsultation zu betrachten, so daß Sie durch Ihre Schweigepflicht gebunden sind.“
    „Selbstredend. Also, Sie haben etwas ausgefressen. Was war es?“
    „Ich habe an der Tür zu Dr. Randers’ Sprechzimmer gehorcht.“ „Aber pfui!“
    „Die Oberschwester hat mich aus dem Dienst gewiesen!“ „Durchaus begreiflich.“
    „Mehr war nicht.“
    „Unsinn! Sie haben mit dem, was Sie eigentlich erzählen wollten, noch gar nicht begonnen. Jetzt sind drei Minuten vergangen, bleiben nur noch siebenundfünfzig. Erzählen Sie einmal alles, vom Anbeginn an, jedes kleinste Krümelchen. Sonst kann ich Ihnen nicht helfen.“ Eirin tat einen tiefen Seufzer. „Nun gut. Der Anfang liegt drei Jahre zurück.“
    „Da werden Sie die siebenundfünfzig Minuten brauchen. Schießen Sie los.“ Eirin erzählte, erzählte, ohne etwas auszuschmücken, ohne sich selbst zu schonen, ohne zu übertreiben, erzählte von ihrer Liebe zu Halfdan, von den Monaten in Frostviken, von ihrer Flucht, von allen Kämpfen und Schwierigkeiten im Krankenhaus, von Freuden und Ermunterungen, von ihrer Liebe zur Arbeit. Sie erzählte von der quälenden Ungewißheit um Halfdan und was sie heute Dr. Randers am Telefon hatte sagen hören.
    Mark Claussen unterbrach sie mit keinem Wort. Sie zündete sich eine neue Zigarette an der alten an, saß ein wenig vorgeneigt und hörte aufmerksam zu.
    Als Eirin schließlich schwieg, leer und ratlos - da schaute sie die Ärztin an.
    „Sie wären kein Mensch, wenn Sie nicht gehorcht hätten. Natürlich würde die Oberschwester Sie verstehen, wenn Sie ihr dasselbe erzählten, was ich soeben erfahren habe - “
    „Nein!“ rief Eirin.
    „Beruhigen Sie sich. Vermutlich hat sie schon mit Dr. Randers gesprochen, also müßte auch er die ganze Geschichte erfahren. Nein, das muß Ihnen erspart bleiben.“
    Sie tat ein paar Züge.
    Eirin hing an ihrem Munde. Frau Dr. Claussen schien mit sich zu ringen. Eirin sagte nichts. Sie sah, wie der Ärztin das Blut in die Wangen schoß und wie sie gleich darauf ganz blaß wurde.
    „Gute Schwester Lise. Ich werde Ihnen helfen. Wir müssen sehen, Sie aus dieser Geschichte wieder herauszubringen. Sie haben genug durchgemacht, als daß Sie obendrein noch aus dem Krankenhaus gewiesen werden sollen. Hier gehören Sie her, und hier müssen Sie bleiben. Dr. Randers sprach kürzlich mal von Ihnen. Er ist sehr zufrieden mit Ihnen. Der Operationssaal scheint wohl Ihr liebstes Arbeitsfeld zu sein?“
    „Ich glaube es. Auf diese Zeit habe ich ja all die Jahre gewartet. Denn Halfdan möchte so gern Chirurg werden, und darum meinte ich - “
    „Ja, ich verstehe. Aber die Arbeit hat ihren eigenen großen Wert, Schwester Lise. Vergessen Sie das nicht.“
    „Nein“, flüsterte Eirin. „Ich vergesse es nicht. Ich liebe ja meine Arbeit.“
    Die Oberschwester in der Chirurgie, Agathe Tronstad, erhob sich nicht, als an die Tür geklopft wurde. Sie rief „Herein!“, ohne die Augen von dem Buch zu wenden, in dem sie las.
    Erst als die Tür sich auftat, blickte sie auf und legte das Buch aus der Hand.
    „Bist du es, Marit? Kommst du zu mir?“
    „Ja, ich komme heute zu dir, Agathe. Ich muß mit dir reden.“ „Möchtest du nicht Platz nehmen?“
    „Danke.“
    „Ich kann dir leider keine Zigarette anbieten, aber -

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