Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
verbrät dabei locker zehn Waschlappen. Im Grunde müsste man den Wäschesack in eine Schutzfolie wickeln. Oder gleich verbrennen. Als wir gerade fertig sind, rutscht das Darmrohr aus dem Hintern des Riesen, und wir können von vorne anfangen.
Wir stehen da und gucken uns an. Lachen oder heulen? Kotzen oder weitermachen? Wir entscheiden uns für hysterisches Gekicher und «Weitermachen!». Es sind ja auch nicht mehr solche Mengen wie vorher, stellen wir gnädig fest und sind auf einmal richtig gut drauf, als wir auf dem Flur schon die Stimmen der Kollegen hören, die zum Frühdienst erscheinen. «Hier stinkt’s!»
Als wir endlich fertig sind, können wir es kaum fassen, trauen uns aber noch nicht, den Mundschutz abzunehmen. Der bleibt drauf, bis alles entsorgt ist. Mir tun die Leute leid, die den Wäschesack transportieren, auspacken und sortieren müssen. Ob das wirklich von Hand gemacht wird?
Ich habe den Verdacht, selbst bestialisch zu stinken und deshalb beim Bäcker achtkantig rauszufliegen. Der Giftzwerg und ich waschen uns zehn Minuten die Hände und würden jetzt auch ein Bad in Desinfektionsmittel nehmen, aber wir haben keine Zeit, wir müssen hier raus, nach Hause, in die Dusche, ins Bett.
Als ich am Nachmittag meine Tüte Müsli in der Küche stehen sehe, nehme ich sie und stelle sie in den Schrank. Erst mal ist mir der Appetit darauf vergangen.
Nach der Riesenmenge ausgekotzten Blutes konnte ich fast ein halbes Jahr keine Blaubeermarmelade essen. Sie sah den geronnenen Blutklumpen zum Verwechseln ähnlich. Niemand macht so gute und exzellente Blaubeermarmelade wie meine Mama, und es tat mir in der Seele weh, regelmäßig das Glas aufzuschrauben und festzustellen, dass es einfach nicht möglich war, mit der klebrigen Masse ein Brötchen zu bestreichen. Tröstlich ist lediglich, dass wir alle schon einmal in einer solch ekligen Situation waren. Macht man sich die Mühe und fragt ein wenig bei den Kollegen herum, kommen die übelsten Geschichten zum Vorschein: Literweise ausgekotzte Bohnensuppe in der Ambulanz, wovon die Hälfte auf die Kollegen fliegt, irrsinnige Blutmengen, die aus allen erdenklichen Körperöffnungen herauslaufen oder gar spritzen, aus der Lunge herausgesaugte Speisereste. Schlimme Gerüche, die einem sofort den Atem nehmen, wie zerfallene Tumoren, Stuhlgang und Erbrochenes.
Notfalleinsätze der Notärztinnen und Notärzte, die auf Autobahnzubringern in reinste Schlachtfelder geraten, in engen Badezimmern eingekeilte Menschen, in ihrem Kot liegend und blutverschmiert.
Oder Tote. Tote auf Station, die nochmal komplett das Gedärm entleeren, die im Nu brettsteif werden, Tote, die mehrere Tage oder Wochen in Wohnungen gelegen haben – und die Hausnachbarn wundern sich über den merkwürdigen Geruch im Hausflur.
Der Ekel vor schwerstbetrunkenen und blutüberströmten Menschen, die in eine handfeste Schlägerei verwickelt waren, die auf der Intensivstation herumkrakeelen, Verbände wieder abpulen und aggressiv sind. Menschen mit großflächiger Schuppenflechte, denen die trockenen Hautschuppen in der Größe von Untertassen abblättern und auf den Boden segeln, die man komplett mit Harnstoffsalbe eincremen muss – so muss es sich etwa anfühlen, wenn man einen Leguan einreibt. Menschen, die als Notfall auf die Station gebracht werden, die man aus ihren Kleidungsstücken herausschneiden muss, die urin- und kotdurchtränkt sind.
Ekel und Entsetzen in den Wohnungen völlig verarmter und verwahrloster alter Menschen, deren Rente nur bis zur Hälfte des Monats reicht und die den restlichen Monat von einer Packung Zwieback leben müssen, während sich andere tagtäglich von einem Büfett zum nächsten fressen.
Der Vorteil besteht jedoch darin, dass sich nicht alle vor denselben Dingen ekeln. Wenn der Star auf nüchternen Magen frühmorgens Probleme damit hat, Patienten die Lunge abzusaugen, muss es eben jemand anderes tun. Wenn ich einen Patienten mit Magenblutung aufnehmen muss, muss mir jemand dabei helfen. Nach dem Vorfall mit Herrn Petersen durchzuckt es mich jedes Mal heftig, wenn ein Neuzugang mit Magenblutung angekündigt wird und ich die Einzige bin, die noch einen freien Bettplatz hat. Zu zweit lässt sich der Ekel weitaus besser ertragen.
Einen Abend mit dem Giftzwerg und dem Star zu verbringen und sich Ekelgeschichten zu erzählen, ist überaus heilsam und extrem lustig. Solche Abende haben jedoch einen Nachteil: Wir dürfen ihn nicht in der Kneipe verbringen, wo die
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