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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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stinkt gotterbärmlich, nicht nur nach Müsli, sondern auch nach Fisch und mindestens einer Handvoll Schwefel. Hätte ich eine Brille, sie wäre jetzt beschlagen.
    Der Giftzwerg kommt schwer bepackt ins Zimmer, legt alles auf einen Stuhl und rennt schnurstracks wieder raus. Vor der Tür höre ich sie aus sicherem Abstand rufen: «Ich komme keinen Zentimeter näher! Mir ist schlecht!» Ich muss lachen und fordere sie auf, hereinzukommen.
    «Nein», zetert der Giftzwerg vom Flur und macht ihrem Namen alle Ehre, «nur über meine Leiche, ich brech da hin, hundertprozentig!» Ich lege dem Riesen geistesgegenwärtig ein Handtuch über den Intimbereich und gehe aus dem Zimmer, am Giftzwerg vorbei zu dem Wägelchen, auf dem sich all das Material befindet, was man für das sterile Legen von zentralen Venenkathetern und Ähnlichem braucht. Im untersten Schubfach befindet sich eine Schachtel mit Gesichtsmasken. Eine für den Giftzwerg, eine für mich. «Los», sage ich zum Giftzwerg, «wir machen da jetzt sauber.»
    Der Vollbart kommt gerade über den Flur gestiefelt und fragt, was bei uns vor sich geht. Wir deuten mit dem Kopf in das Zimmer, in dem der Riese vom Hacken bis zum Nacken in seinem «Post-Reanimationsschiss» liegt, wie so etwas in Fachkreisen genannt wird.
    Der Mundschutz lindert unsere Qualen geringfügig, der Gestank scheint sich im Gewebe festzusetzen, uns tränen die Augen und wir stehen für einen Moment hilflos in der Gegend herum, weil wir nicht wissen, womit wir anfangen sollen. «Räumungsverkauf – alles muss raus!» Was ein frisch wiederbelebter Darm alles zutage fördert, ist erstaunlich.
    Nach einem kurzen Kampf mit ihrem inneren Schweinehund kommt der Pragmatismus des Giftzwergs wieder durch. Kurzerhand greift sie zum Absaugkatheter, der eigentlich für das Absaugen der Lunge oder der Mundhöhle gedacht ist, und hält ihn unter vollem Sog in den See aus Stuhlgang. Es erweist sich als glänzender Einfall, und endlich kommt Bewegung in das Desaster. Der Giftzwerg ist Gold wert. Knatternd sausen Rosinen und Haferflocken durch den Schlauch. «Dass die aber auch alle nicht richtig kauen!», staunt sie. So langsam füllt sich der Absaugbehälter, und wir benötigen dringend einen neuen. Draußen huscht der Star über den Flur, an die wir schon unsere Blutabnahmen delegieren mussten. Sie guckt um die Ecke und stöhnt: «Puh, was ist denn hier los?» Wir flehen sie an, mindestens zwei neue Absaugbehälter zu holen, mit Absaugschlauch und allem, und der Star ist froh, dass sie dem Gestank wieder entfliehen kann. Inzwischen hat der Giftzwerg ganze Arbeit geleistet und das Gröbste weggesaugt. Großflächig kleiden wir den Rest der Matratze mit Laken aus, damit wir den Mann nicht frischgewaschen wieder in den ganzen Dreck zurückdrehen müssen. Der Giftzwerg dreht den Riesen auf die Seite – Technik ist alles – und kaum liegt er da, sprudelt ein stiller Quell aus seinem Hintern. Unter dem Mundschutz wird es warm. Wir sind kurz vorm Verzweifeln. Da kommt der Star zurück, tauscht mit angehaltenem Atem den Absaugbehälter aus und bringt unaufgefordert ein Darmrohr. Ein Darmrohr kann man mit einem Beutel verbinden und es den Patienten in den After schieben, damit sie bei Durchfall oder bei einem Einlauf nicht im Nassen liegen. Als ich diese Aufgabe vollendet habe, bleiben wir neben dem Bett stehen und gucken, wie sich der Beutel allmählich füllt. «Wahnsinn!» Der Star vergisst vor lauter Faszination, sich zu ekeln. Obwohl das Gros der besudelten Wäsche bereits im Wäschesack liegt und die nächste Ladung direkt über das Darmrohr in den Plastikbeutel läuft, stinkt es immer noch erbärmlich. Der Star füllt die Waschschüssel mit warmem Wasser und gibt Seife und einen Schuss Zitronenöl hinein. Es riecht nach Zitrone mit Scheiße. Großflächig wasche ich dem Mann das Müsli vom Körper. «Tu mal noch was von dem Kühlgel auf seinen Rücken», empfiehlt der Giftzwerg. Das Gel bekommen die Patienten anstelle des ausgedienten Franzbranntweins zur Erfrischung auf den Rücken. Es enthält irgendwelche ätherischen Öle und riecht nach Kiefern. Jetzt riecht es, als hätte jemand in eine Tannenschonung geschissen und die Sonne scheint darauf. Nichts, was wir tun, mindert den Gestank, es wird eher schlimmer. Immerhin ist der Riese schon zur Hälfte sauber. Ein frisches Laken wird eingespannt, und ich drehe ihn zu mir herüber. Der Giftzwerg schnauft, zieht die beschmutzten Laken unter dem Patienten hervor und

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