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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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an und für sich kein so großes Problem, aber ich muss es organisieren, und dazu sehe ich mich in meinem benebelten Zustand völlig außerstande. All meine Kräfte mobilisierend, rufe ich den Star an und muss fast brüllen, weil die Arbeiter den Schlagbohrer wieder angeschmissen haben. Der Star muss lachen. «Nehmen die dir die Hütte auseinander?» Es fühlt sich tatsächlich so an; der Boden vibriert wieder, Gläser klirren leise, prost!, aber mir ist nicht so richtig nach Späßchen. Der Star hat sofort großes Mitleid, und siehe da – sie hat den Rest der Woche frei, vormittags Termine, lärmt demzufolge also nicht mit Bohrern oder Staubsaugern herum, und schon habe ich eine neue Unterkunft. Zum Preis einer Tüte frischer Brötchen. Ein Super-Deal, sogar mit gemeinsamem Frühstück.
    Erleichtert lege ich auf. Dann tigere ich durch die Wohnung und bin verzweifelt, weil todmüde. Nach einer Dreiviertelstunde bohren sie immer noch. Ich werde allmählich zur Furie. Aufhören! Wäre ein Amoklauf sinnvoll? Dafür fehlt mir die Kraft. Dann ist es plötzlich still. Ich glaube, es war noch nie so still. Draußen auf der Straße rast ein Löschzug der Feuerwehr vorbei, ein geradezu angenehmes Geräusch. Ich gucke aus dem Fenster, ob die Kerle abhauen. Mittlerweile sind eineinhalb Stunden vorbei. Bis ich mich wieder beruhigt habe, geht noch eine weitere Stunde flöten. In anständigen Haushalten gibt es wahrscheinlich gerade Mittagessen. Eine äußerst schlechte Stundenbilanz, was die Schlafmenge anbelangt. Die Bauarbeiter halten jedoch ihr Wort, für den Rest des Tages ist Ruhe. Insgesamt dauert das ganze Projekt fast drei Monate.
    Es wird Zeit, umzuziehen.
    Nach dem Umzug muss ich feststellen, dass es das Schicksal nicht besonders gut mit mir meint: Alle lauten Bauvorhaben spielen sich grundsätzlich in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ab. Es ist wie ein Virus. Der eine fängt zwei Grundstücke weiter mit einer Kellerentkernung an. Dort ist dann zwar am Wochenende Ruhe, aber die Nachbarn von rechts schmeißen am Samstagnachmittag plötzlich eine benzinbetriebene Steinsäge an. Haben Sie schon mal gehört, wie das klingt? Und wie das riecht? Als sei eine Tankstelle in die Luft geflogen! Wenn die Sägearbeit beendet ist, kommt der alte Sack aus dem Hinterhof plötzlich raus, knipst sein Kofferradio an, aus dem laut Schlager und Volkslieder schollern, und begleitet diese Kakophonie mit seinem Rasenkantenschneider. Diese Arbeit dauert etwa zwei Stunden, es muss ja auch ordentlich werden. So sehr mich diese geschäftige Umtriebigkeit auch nervt, so frage ich mich natürlich auch, wann die Leute diese Arbeiten sonst erledigen sollen. Es ist ihnen wichtig, nur leider kollidiert die entstehende Geräuschkulisse mit meinem Ruhebedürfnis, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als mich zähneknirschend damit zu arrangieren und gegebenenfalls zu flüchten. Hierdurch habe ich mittlerweile eine stattliche Anzahl an Plätzen gefunden, die innerhalb kürzester Zeit mit dem Fahrrad zu erreichen sind und an denen ich mich in aller Ruhe zum Lesen niederlassen kann. Und wenn ich selbst dafür zu müde bin, liege ich zufrieden mit einem Grashalm im Mund auf meiner Isomatte und beobachte, wie ein Eichhörnchen scheinbar schwerelos von einem Baumriesen zum nächsten hüpft oder sich ein Rudel dreister Spatzen an der Kekstüte Frisbee spielender Jungs zu schaffen macht … Der plötzlich einsetzende Regenschauer weckt mich aus dem Schlaf, und auf der Fahrt nach Hause bin ich mir sicher, dass der Krach aus den nachbarlichen Gefilden jäh stoppt, denn bis dato hat auch der halsstarrigste Heimwerker das Hantieren mit der Steinsäge bei Platzregen zumindest kurz unterbrochen.
    Übrigens ist es nicht so, dass mich einfach nur das Getöse nervt – ich möchte manchmal schreiend davonrennen, wenn ich sehe, wie die fleißigen Nachbarn ihre Beute aus dem nächsten Baumarkt aufstellen, aufbauen oder sonst wie funktionstüchtig zurechtmachen. Frühling und Sommer sind die Jahreszeiten, in der die Ambulanzen voll mit Menschen sind, die im Rahmen der großen «Das-hat-Vaddi-alles-allein-gemacht»-Aktion Endglieder wie Finger und Zehen einbüßen oder stückweise von ganzen Körperteilen plötzlich und unerwartet Abschied nehmen müssen. Das Problem ist, dass ich mir immer vorstellen muss, einem dieser Unglücksraben als Patienten auf der Intensivstation zu begegnen, aber gleichzeitig beruhigt es mich ungemein, dass es sich bei meinem Arbeitsplatz

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