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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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die Enten samt ihrem Gespons anschnattern und anpicken würden …
    Als ich endlich zu Hause bin, wünsche ich der Nachbarin auf ihrem Weg ins Büro einen schönen Tag und sie mir eine gute Nacht. Dann stolpere ich mit der Zeitung und der Brötchentüte in der Hand die Treppe hinauf, nestele ungeschickt die Haustürschlüssel aus der Hosentasche und bin auf sicherem Terrain. In der Wohnung ist es ruhig, es gibt weder Autos noch einen Coffee-to-go. Lässig spaziert die Katze vorbei, streicht mir um die Beine und streckt sich ausgiebig, um anschließend draußen nach dem Rechten zu sehen. Kurz blättere ich die Zeitung durch, verstehe nur die Hälfte und esse ein Brötchen. Nach dem Zähneputzen schüttele ich meine Decke und das Kissen auf und lege mich ins Bett. Rein prophylaktisch stopfe ich mir handelsübliche Lärmschutzproppen aus Schaumstoff in beide Gehörgänge. Irgendjemand macht immer Krach – das ist eine Lehre, die ich aus jahrelangem Schichtdienst gezogen habe. Die Müdigkeit mäandert durch meinen Körper wie eine exzellente Narkose. Dann schlafe ich ein.
    Es brummt. Mein Bett vibriert. Was träume ich denn da? Als ich merke, dass ich nicht träume, klappe ich die Augen auf und sehe auf den Wecker – ich habe eine knappe Dreiviertelstunde geschlafen. Warum vibriert mein Bett? Und was zum Teufel ist das für ein Geräusch?
    Ich pule mir die Lärmstopper aus den Ohren und bereue es sofort. Das Geräusch kommt aus der Wand – es ist ein Schlagbohrer in ohrenbetäubender Lautstärke. Deutlich spüre ich meine Füllungen in den Backenzähnen. Ich springe aus dem Bett, ohne zu wissen, was ich jetzt eigentlich tun soll. Panik durchzuckt mich – wie soll ich hier schlafen, so geht das nicht, ich habe noch zwei Nachtschichten vor mir! Die haben nicht mehr alle Tassen im Schrank, warum sagen die Ärsche nicht Bescheid, wo bekomme ich jetzt eine Kalaschnikow her? Das Getöse bringt mich aus dem Stand sofort auf die Palme, und mit diesem übernächtigten Wirrwarr im Kopf betrete ich den Flur, der in gleißendes Sonnenlicht getaucht ist. Ich kann überhaupt nichts sehen und taste mich Richtung Haustür. Ich muss schleunigst herausfinden, wo dieses Ungeheuer mit dem Schlagbohrer dem Stumpfsinn frönt. Der Lärm kommt ganz eindeutig aus dem Nachbarhaus auf der linken Seite. Ich ziehe mir einen Pullover und eine Hose an, setze meine Sonnenbrille auf und stolpere wie betäubt auf die Straße. Wahrscheinlich sehe ich aus wie eine Irre. Ich könnte mich einweisen lassen und bekäme Medikamente, nach deren Einnahme mir alles wurscht wäre und ich endlich schlafen könnte. Das wäre eine Lösung für den Notfall. Aber erst mal versuche ich es auf dem normalen Dienstweg.
    Die Haustür, hinter der der Krach tobt, ist offen, und ich gehe vorsichtig hinein. Das fehlt jetzt noch, dass mir Gesteinsbrocken auf den Kopf fallen. Es ist so laut, dass das Trommelfell schmerzt, riecht nach muffigem Keller, und dann kommt mir einer der Bauarbeiter entgegen. Er sagt irgendwas, aber ich sehe nur, dass sich sein Mund bewegt, und winke ihn hinaus vor die Tür. «Wie lange soll das denn hier jetzt bitte gehen?», frage ich vielleicht eine Spur zu barsch, und der Typ antwortet: «Ja, äh, muss ja fertig werden, nä?»
    Das ist ja ein ganz besonders intelligentes Bürschchen, dem der Lärm sicher so manch graue Zelle durcheinandergewirbelt hat. Er steht da in seinem mit Farbe bekleckerten dunkelroten Shirt, einer zerfledderten Jeans und dicken Arbeitsstiefeln und wischt sich mit seiner schwieligen Hand den Schweiß von der Stirn. Die Fingerkuppen des Zeige- und Mittelfingers sind braun vom Tabak. «Ich habe Nachtdienst und es wäre toll gewesen, wenn mir jemand Bescheid gesagt hätte», bemühe ich mich freundlich zu bleiben, «ich muss schlafen!»
    «Also, wir bohren jetzt noch eine halbe Stunde», versucht er mich zu beschwichtigen.
    «Und dann wird gehämmert», vervollständige ich die Arbeitsplanung.
    «Nee», sagt er trocken, «das machen wir morgen.»
    Ich stehe kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Der Mann kann ja noch nicht mal etwas dafür, der ist nur beauftragt worden. Sofort hasse ich den Hausbesitzer aus tiefster Seele und schäme mich ein bisschen für meinen pampigen Auftritt. Das ist sonst eigentlich nicht so meine Art. Der Bauarbeiter verspricht mir, dass nach einer halben Stunde Schluss ist mit Bohren. Für den nächsten Tag muss ich mir einen anderen Schlafplatz suchen.
    Eine Nachtdienst-Notunterkunft zu finden ist

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