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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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Das Freibier wird oftmals in etwas wabbeligen Plastikbechern gereicht, was den Transport mehrerer Becher massiv erschwert. In diesem Getümmel finden Frau Anzug, die jetzt Jeans und T-Shirt trägt, und ich uns auch gleich mit einem Wabbel-Bier wieder, das wir von einem aufmerksamen Kollegen in die Hand gedrückt bekommen. So ersparen wir uns das Gedrängel an der Theke und können sofort unserer Leidenschaft frönen: gucken.
    Gerne werden solche Partys auch als Kontaktbörse genutzt, und es ist interessant zu beobachten, wie sich die Kongressteilnehmer allmählich locker machen. Wer vormittags in Hosenanzug, Kostüm oder Anzug herumlief, hat für die abendliche Veranstaltung die Garderobe gewechselt: Junge Typen stehen breitbeinig in Schlabberjeans und lassen sich von den modebewussten Ladys für ihren trendigen Auftritt bewundern. Sie haben ihre Arme vor der Brust verschränkt, und ihre angeberische «Ich-mach-eh-alles-anders»-Visage ist nur ein Showelement, mit dem sie für ihr revolutionäres Rock-’n’-Roller-Leben auf der Intensivstation Reklame laufen. Die Frauen, die diesen Typ Kollegen umringen, sind in der Regel jung und noch ohne Kind und tragen enge Jeans, die in enge Stiefel gesteckt werden, Strickjacken mit irgendwelchem Gebammsel dran oder ein enges Shirt mit Kapuze. Alles wirkt sehr laut und bunt, aber harmlos, denn noch sind alle mit der Reviermarkierung befasst, sodass es erst später interessant wird.
    Wir erspähen die alten Knacker vom Vormittag, die zusammenstehen und Rotwein trinken. Hier handelt es sich um eher minderwertige Ware, die am nächsten Tag noch gehörig nachdröhnt und in Plastikbechern serviert wird. Ich frage mich immer wieder, warum diese Menschen, die echte Weinkenner zu sein vorgeben und niemals müde werden, von «großen Gewächsen» zu schwärmen, auf diesen Veranstaltungen so ein übles Zeug in sich hineingießen. Später werden die Herren nach vollzogener Druckbetankung «lustiges Studentenleben» spielen, was bedeutet, junge und attraktive Frauen auf übelste, schleimigste und oftmals sehr handgreifliche Masche anzugraben. Den Schutz der Hierarchie ausnutzend – «Ich bin Chef und die nicht!» – erfährt der Angreifer bedauerlicherweise so nur wenig bis gar keinen Widerstand. Dabei wäre in diesem Umfeld eine kleine Schubserei oder Rangelei wirklich unterhaltsam. Frau Anzug und ich finden die Vorstellung toll, einen sabbernden und grabbelnden alten Sugardaddy mit einem lauten «Sag mal, spinnst du?!» in die Stellwände eines Beatmungsgerätestandes zu schubsen und dann abzuwarten, wie die Umstehenden darauf reagieren. Es käme sicherlich irgendein Stiefellecker zu Hilfe, ohne Notiz von dessen vorab vollzogener Übergriffigkeit zu nehmen, sodass unser größtes Begehr zu diesem Anlass eine veritable Saalschlacht wäre, denn an sich gibt so eine Party ja nicht allzu viel her.
    Ein wesentlicher Bestandteil aller Partys ist die musikalische Untermalung, und auf Kongressfeiern treten oftmals sogenannte Top-40-Bands auf, die die Top-Hits der letzten Jahrzehnte live nachspielen. Zum tausendsten Mal hört man eine weitere unerträgliche Version von Gloria Gaynors «I will survive», die hervorragend zu einem Notfallkongress passt und überdies exakt dem Takt entspricht, mit der eine Herzdruckmassage durchgeführt werden sollte. Die Alternative wäre «Highway to hell» von AC / DC  …
    Es wird sich quer durch die beliebten Rock- und Pop-Gefilde geknödelt, und die zahlreichen Besucher klatschen, grölen und tanzen begeistert im Takt. Später werden sie sagen, dass sie diese Musik eigentlich nur auf Feten hören, sonst kämen sie «eher so aus der Jazz-Ecke». Diese Musik ist eine Art Reminiszenz an die Jugendsünden und weckt gerade bei den älteren Semestern eine Mischung aus Grusel und Wehmut, denn der Pubertäts-Soundtrack ruft die eine oder andere Erinnerung an heimlichen Biergenuss und verschmähte Liebe wach.
     
    Durch die Menge kämpfen sich der Star und die Bohnenstange. Wir haben alle leere Becher in der Hand, und ich erkläre mich bereit, Nachschub zu holen. Einträchtig schlendern wir dann mit unseren Getränken durch die sich selbst feiernde Menge, scherzen mit ein paar Kollegen aus Süddeutschland und kämpfen uns durch zur Tanzfläche. Die Band könnte jetzt alles spielen, was sie wollte, und es würde getanzt werden.
    Es ist mittlerweile Mitternacht. Im Klartext heißt das: Ab jetzt gibt es das Bier nur noch auf Privatrezept – man muss selber zahlen,

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