Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
und auch wenn es das Gebräu ab jetzt im Glas gibt, schmeckt es dadurch nicht besser. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass der Star und ich morgen mit halbwegs klarem Kopf pünktlich auf der Station erwartet werden. Daher entscheiden wir uns schweren Herzens zu gehen und verabschieden uns von der Bohnenstange und Frau Anzug, die beide den morgigen Tag frei haben und kurzfristig entschieden haben, nun doch noch gepflegt durch den Tisch zu treten.
Am nächsten Tag ruft mich Frau Anzug an. Ihre Stimme ist zwei Oktaven tiefer, und sie beklagt einen ziemlichen Kater. Trotzdem habe sie sich am nächsten Tag noch tapfer für zwei Vorträge zum Kongress begeben und beim ersten rein zufällig neben dem Arzt vom Vortag gesessen, der sich während des Vortrags mit seinem Handy beschäftigte und eine SMS tippte, die Frau Anzug aus dem Augenwinkel sehr gut lesen konnte: «die tussi war heute morgen weg. scheiße.»
Recht so, dachte sich Frau Anzug da, wer eine Frau nach einem One-Night-Stand ‹Tussi› nennt, weil sie nicht zum Frühstück bleibt, heiraten und seinen genetischen Code in die Welt hinaustragen möchte, hat es auch nicht anders verdient.
Kongresse sind ein riesengroßer Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf denen gewaltige Pfauen ihr prächtiges Gefieder spreizen und heimlich auf den Teppich kacken, wo eifrige Wissensdurstige aufgeregt nach jemandem suchen, der ihnen die Weltformel erklärt, die Quadratur des Kreises elegant hinbiegen kann und jemanden kennt, der im Bernsteinzimmer wohnt. Vielleicht steht eine Hollywoodschaukel darin.
Es ist eine Art gut organisierte und mächtig aufgebrezelte «Notfall-Hadsch», auf der alle in mehr oder weniger stiller Andacht die Industrie des Hightechs und der Studien umkreisen. Referenten feilen mittels Vorträgen an ihrer Gottwerdung, und man trifft auf den durch die Menge gockelnden großen Narkose-Maestro, der seine besten Zeiten bereits hinter sich hat, auf Gruppen schickgemachter Krankenschwestern und Ärztinnen, Berufsjugendliche im Endfünfzigerbereich in unangemessen engen Hüftjeans sowie wandelnde Schminktäschchen, die, umhüllt von einem schweren Duft, an einem vorbeischweben. Man beobachtet, wie sie gucken, werben und sich gegenseitig bequatschen und die Butter vom Brot zu nehmen versuchen, wie sie alle ihre eigene dreckige kleine Geschichte mit sich herumschleppen und ordentlich herumlärmen, damit es keiner merkt. Es sind großartige Spiele, und sie haben ein dankbares Publikum.
Und nächstes Jahr gehen wir wieder hin!
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Maschinska stop!
Wenn ich ab und an in Situationen gerate, in der man sich nach meiner Arbeit erkundigt, frage ich mich manchmal akut, ob ich nicht einen anderen Beruf angeben sollte. Weil ich mich in anderen Arbeitsbereichen aber nicht gut auskenne und vermeiden möchte, dass man mich zum Beispiel in ein Fachgespräch über Webdesign verwickelt, sage ich meistens doch, dass ich in der Intensivpflege tätig bin.
Und dann geht es los.
Manche fragen mich, ob man «all das nicht auch manchmal mit nach Hause nimmt.»
Nein. Ich nehme mir keine Arbeit mit nach Hause. Es gibt Berufe, da würde man sich damit nur Ärger einhandeln. Ich nehme an, dass es Gerichtsmediziner damit ähnlich halten. Oder Totengräber.
Wenn ich richtig Pech habe, wird mir dezidiert erläutert, wie übel der Intensivaufenthalt eines Familienangehörigen oder Bekannten war und dass das Pflegepersonal einen maßgeblichen Anteil daran gehabt hat. Meistens, weil «die keinen Bock» hatten, was der Euphemismus für «keine Ahnung haben» ist.
Und häufig bringen sich die Menschen in eine bequeme Sitzposition und lauern auf fiese und dramatische Geschichten aus meinem Berufsalltag, die sie mit einem indirekten «Oh, da liegen ja sicher ziemlich schwere Fälle, oder?» einfordern. Sie fragen, ob es Sinn mache, jemandem, der gerade im Begriff ist, zu ersticken, einen Kugelschreiber zu Beatmungszwecken «in den Kehlkopf» zu stecken, das hätten sie mal bei
MacGyver
gesehen. Das tröstet mich, denn ich möchte nicht hoffen, dass man den Menschen dieses Verfahren bei ihrem Erste-Hilfe-Kurs, der wahrscheinlich schon mehrere Dekaden zurückliegt, empfohlen hat.
Schlimm sind auch Fragen, die mit «Wie ist das eigentlich …?» anfangen. Da soll ich die Grundlagen des Herzversagens beschreiben, «mal eben» den korrekten Ablauf einer Reanimation schildern oder die Dramatik veranschaulichen, wenn Angehörige nach dem plötzlichen Tod eines Menschen
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