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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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auf dem Stationsflur kollabieren. Und gemeinhin scheint man auch dem Glauben anzuhängen, dass das Pflegepersonal auf Intensivstationen kompetenter sei als die Kollegen auf den Normalstationen. Ich glaube das nicht.
    Meine Lieblingsreaktion ist jedoch zweifelsohne die von Frauen im grünen Samtkleid, die sich einen ganzen Abend lang an einer Weißweinschorle festhalten.
    «Also, ich lehne die Schulmedizin ja total ab für mich», sie schlägt das linke Bein über das rechte, «ich nehme nur homöopathische Sachen oder Bachblüten, und diese ganze Apparatemedizin finde ich ganz, ganz schlimm», stolpert die engagierte Naturheilkundekundin vom Hölzchen aufs Stöckchen, und ich weiß gar nicht, wo ich zuerst intervenieren soll. Was für eine Anklage! Auf Homöopathie und Bachblüten gehe ich gar nicht erst ein, denn ich halte das für ausgekochten Mumpitz – wenn ich nichts habe, muss ich auch nichts einnehmen. Viel lieber möchte ich wissen, was sie denn konkret mit «Apparatemedizin» meint, denn es klingt so, als würde sie gern dieses Schlagwort loswerden und einen engagierten Appell an wen auch immer richten, weil ihr «Verhältnis zu Gesundheit und Erkrankung auch schon ein Stück weit ein ganz anderes ist, also eher ganzheitlich». Also eher das diffuse Gesamtgebinde, in dem vom «Geist der Pflanzen» über die Wünschelrute bis zum esoterischen Bimbam alles enthalten ist. Um ein nicht enden wollendes Kolloquium über ihr bewegtes Innenleben möglichst zügig auszubremsen, schlage ich vor, sie solle sich doch mal vorstellen, sie würde auf dem Rückweg von dieser Party mit dem Vorderrad in die Straßenbahnschienen geraten und sich so richtig fies auf die Klappe legen. Eine Art «Phantasiereise» also, das mögen die ganzheitlich vor sich hin träumenden Menschen ja immer gerne.
    Weil ihr Bein nach dem Sturz im rechten Winkel nach außen hin absteht, ruft jemand den Krankenwagen, damit das Bein im Krankenhaus geröntgt werden kann. Das Röntgengerät ist ein «Apparat», erkläre ich und komme mir vor wie eine Grundschullehrerin.
    «Ja», erregt sich die Frau, «und das sind zum Beispiel alles Strahlen!» Ich wünsche mir plötzlich, dass mein Handy klingelt. Ob sie dann wegrennen würde?
    «Richtig», bekräftige ich ihre physikalisch korrekte Aussage, «aber dafür erkennt man dann, was nicht ganz in Ordnung ist mit deinem Bein – man kann auch ohne Röntgen erkennen, dass da was nicht stimmt, aber wenn das Bein so verbogen ist, dann wird man es unter Umständen operieren müssen, und im Operationssaal gibt es noch viel mehr Geräte.»
    Sie guckt mich groß an. «Narkosen sind auch Gift für den Körper», ereifert sie sich.
    «Ja», sage ich, «das ist eine gezielte Vergiftung, und damit wir erkennen können, wann es zu viel wird, haben wir einen Haufen Geräte. Und dann haben wir noch Apparate für die Beatmung», werde ich allmählich beißend, weil ich es als eine außerordentliche Zeitverschwendung empfinde, hier irgendetwas zu klären. Es ist eine undankbare Aufgabe, manche Menschen darüber zu belehren, dass die Anwendung von Homöopathika, Schüßler-Salzen oder Bachblüten bei den Gläubigen sicher ihre Berechtigung hat, diese Präparate im Notfall aber nur begrenzt sinnvoll sind, weil wir uns in einer Reanimationssituation auf Medikamente verlassen müssen, die einen wesentlich zügigeren Wirkungseintritt versprechen. Und mit Notfalltropfen aus der kleinen Bachblütenapotheke kämen wir bei einem Herzstillstand nicht besonders weit. Hätte meine Tischnachbarin nun angemerkt, sie befürchte, die Patientenbedürfnisse drohen in einem Apparatepark unterzugehen, dann hätten wir eine tolle Gesprächsbasis gehabt. Oder dass die Selbstbestimmung des Menschen über Bord geht, all das wären prima Themen für ein heiteres und substantielles Partygespräch gewesen. Stattdessen muss ich mich mit zerstreuten Vergiftungsängsten fremder Frauen herumärgern, in deren Handtaschen diverse Döschen, Gläschen und Tuben dubiosen Inhalts herumklackern, die ihr das Überleben im Alltag sichern. Die Schulmedizin als solches und die Intensivmedizin im Besonderen in Frage zu stellen finde ich gar nicht schlimm. Mich aber glauben machen zu wollen, dass das alles nur mit der richtigen Auswahl an Streukügelchen zu bewerkstelligen sei, und das, ohne sich über die Hintergründe meines Tuns Gedanken zu machen oder sie zu erfragen, ist nicht das, was ich mir unter einer kurzweiligen Party-Unterhaltung vorstelle.
    Dass die

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