Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Superschwester mit Mann und Maus unter.
Schauen wir also ruhig noch ein Weilchen zu, wie sie sich um den Verstand strampelt und tagtäglich versucht, die größte Leuchte auf der Station zu sein, und ermutigen wir uns mit Karl Kraus’ großartigem Lehrsatz:
«Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge einen langen Schatten.»
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Oben & unten
Unter den zahlreichen Patienten auf der Intensivstation gibt es auch Privatpatienten. Auf einer Privatstation haben diese Patienten den Vorteil, dass sie sich ihr Krankenlager nicht mit drei oder vier anderen teilen müssen, die im TV noch zwei Stunden «Das Frühlingsfest der Volksmusik» sehen wollen. Sie haben in der Regel ein Einzelzimmer, in dem sie sich in Ruhe ungestört durch sämtliche Kanäle zappen können, und an ihrem Schnarchen stört sich auch niemand. Aber nicht nur die Unterbringung im Einzel- oder höchstens Zweibettzimmer ist ein wesentlicher Vorteil – auch OP -Termine kommen schneller zustande, und die dafür erforderlichen Untersuchungen gehen ebenfalls zügiger über die Bühne.
Dass Privatpatienten deshalb eine langwierige Intensivkarriere nicht erspart bleibt, die sich gegebenenfalls nicht in einem Einzelzimmer abspielt, versetzt sie und ihre Angehörigen oftmals in Erstaunen. Und weil sie dem Irrglauben unterliegen, der Chef würde höchstpersönlich seine hütende Hand vierundzwanzig Stunden über das gesamte Prozedere halten, ist das Erwachen böse, wenn die Nachbehandlung eine Entwicklung nimmt, mit der niemand gerechnet hat.
Frau Roses Herzoperation stand unter einem erdenklich schlechten Stern, denn wenige Stunden nach der OP waren bei der Patientin deutliche Infarktzeichen zu sehen. EKG -Veränderungen und ein Anstieg der Enzyme, die auf einen hohen Muskelgewebsniedergang schließen ließen, sorgten bei den Ärzten für Unruhe. Um erkennen zu können, ob einer der drei Bypässe sich nach der Operation wieder verschlossen hat, mussten wir Frau Rose mit der mobilen Beatmungseinheit zur Herzkatheteruntersuchung fahren und boten den interessiert guckenden Cafeteria-Besuchern eine spannende Vorführung, als wir mit dem schwerfälligen und piependen Gerät am Fußende von Frau Roses Bett durch die sich auf dem Flur teilende Menge ratterten.
Zwar konnte der schon wieder verstopfte Bypass erneut gangbar gemacht und Frau Rose wieder zurück auf die Intensivstation gefahren werden, aber bei der Herzkatheteruntersuchung hatte sich leider ein Stück Kalk aus der Aorta gelöst und verstopfte ein wichtiges Gefäß für die Durchblutung des Darmes, was für uns vorerst unsichtbar blieb. Am nächsten Mittag wurde Frau Rose extubiert und wirkte zwar geschwächt, war aber einigermaßen guter Dinge. Am Nachmittag klagte sie plötzlich über zunehmende Schmerzen im Bauch und fühlte sich furchtbar elend. Sie schickte sogar ihren Ehemann nach Hause, weil sie sich so jämmerlich vorkam. Je länger sich dieser Zustand hinzog, umso enger wurden die Kreise, die Frau Anzug um sie zog. Auch der Chef war nicht zufrieden – es ging schließlich um «seine» Patientin, das könne doch wohl nicht sein, was im Grunde nichts anderes hieß als: «Ich habe erstklassig operiert, und ihr versaut mir das Ergebnis.»
Frau Anzug ließ sich von diesem Kommentar indes nicht beirren. Sie versuchte zuerst den irritierten und besorgten Herrn Rose zu beruhigen, dem die nackte Angst in den Augen stand, und versprach ihm, dass man ihn bei einer Verschlechterung des Zustands seiner Frau unverzüglich anrufen würde. Nur zögernd verließ Herr Rose die Station, so sehr zog es ihn zu seiner leidenden Frau. Nachdem sich Frau Anzug ohne großes Zögern mit den Bauchchirurgen kurzgeschlossen und deren Chef ebenfalls einen kritischen Blick auf Frau Roses Bauch geworfen hatte, kam man zu der Verdachtsdiagnose Mesenterialinfarkt, und schon wurde Frau Rose erneut in den OP gefahren, wo sich der Verdacht bestätigte und man ihr ein etwa achtzig Zentimeter langes Stück abgestorbenen Dickdarm entfernte. Beatmet und mit einer beachtlichen Menge Drainagen versehen, aus denen Blut und andere Sekrete abliefen, lag Frau Rose nun ohne sichtbare Besserung beatmet in ihrem Bett und glitt allmählich und unaufhaltsam in ein Multiorganversagen, während wir mehr oder weniger hilflos daneben standen.
Als ich zwei Tage danach zum Spätdienst komme, wirkt Frau Rose wie ein kleines welkes Blümchen. Kabel umranken sie wie Efeu, Medikamentenzuleitungen
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